Montag, 26. März 2018

Mother Tongue

Bild: Flickr / Nicolas Raymond (1, 2, 3, 4) - CC BY 2.0
Dass verschiedene Personen sich mit dem Erlernen agiler Frameworks unterschiedlich schwer tun dürfte keine besondere Überraschung sein. Wer Jahrzehnte in einem stark hierarchischen Umfeld verbracht hat, wird sich mit Selbstorganisation schwerer tun als jemand der es von Anfang an gewohnt ist. Wer beruflich in einer offenen Feedbackkultur sozialisiert wurde wird Verbesserungspotentiale offener ansprechen als einer der im Job nur Konfliktvermeidungskulturen kennt. Etc. All das ist erwartbar und nachvollziehbar. Auf den ersten Blick überraschend ist aber ein weiterer Faktor: die Muttersprache.

Über die Jahre habe ich mit Menschen aus verschiedenen englischsprachigen Ländern zusammenarbeiten dürfen - aus England, Irland, den USA, Kanada und Neuseeland. Auch hier gab es Ausreisser nach oben und unten, im Großen und Ganzen taten sich diese Damen und Herren aber deutlich leichter mit dem Verständnis von Kanban, Scrum & Co als die aus anderen Herkunftsländern. Während bei den deutschen Kollegen häufig recht abenteuerliche Missverständnisse über den Sinn und Zweck von Meetings und Rollen bestanden, war das bei den englischen Muttersprachlern deutlich seltener der Fall.

Der banale Hintergrund: viele Begrifflichkeiten der agilen Frameworks sind normale Begriffe der englischen Berufs- und Alltagssprache und ergeben für den der sie kennt ganz intuitiv den richtigen Sinn. Replenishment und Refinement, Product Owner und Retrospektive, Servant Leader und Backlog sind gute Beispiele dafür. Für jeden der Englisch nur als Fremdsprache spricht sind diese Begriffe dagegen unklar oder vielleicht sogar unbekannt. Bedingt dadurch können sie versehentlich oder absichtlich mit neuen (z.T. falschen) Bedeutungen aufgeladen werden, selbst wenn diese dem eigentlichen Wortsinn widersprechen.

Was häufig gefordert wird um derartige Fehldeutungen zu vermeiden ist eine Übersetzung ins Deutsche, was im Anwendungsfall aber schwierig ist. Zum einen würde vieles künstlich klingen (der Produkt-Eigner, die Rückstau-Verfeinerung), zum anderen bestünde die Gefahr, dass die Begriffe in den unterschiedlichen Sprachen beginnen sich auseinanderzuentwickeln (wie im Fall des im Lean/Kanban-Umfeld häufig verwandten Wortes "Verschwendung", das im Deutschen einen anderen Bedeutungsinhalt hat als das japanische Ursprungswort "Muda").

Eine bessere Lösung kann sein, im Rahmen der Coaching- und Reflektionsprozesse immer wieder darauf hinzuweisen was hinter diesen Worten steht, eine andere wären gut sichtbar angebrachte Erläuterungen zentraler Begriffe in den Teamräumen (z.B. Replenishment 🡒 Aufnehmen neuer Anforderungen). Fehldeutungen lassen sich dadurch zwar nicht verhindern, dafür aber erkennen und korrigieren.

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