Donnerstag, 4. April 2019

Broken Window (II)

Bild: Pixabay / Jeimo - Lizenz
Der Broken Window-Effekt, bzw. die Broken-Window-Theorie gehört zu den Klassikern der Kriminologie und Sozialforschung. Sie gehen davon aus, dass die sichtbare Beschädigung eines Objekts (zum Beispiel in Form einer eingeschlagenen Autoscheibe) die Hemmschwelle für weitere Beschädigungen senkt. Findet keine Reparatur statt wird es mit grosser Wahrscheinlichkeit zu weiteren Schäden in der näheren Umgebung kommen, bis hin zum Niedergang ganzer Stadtteile.

Die Übertragbarkeit dieses Effekts, bzw. dieser Theorie auf Transitionsvorhaben ist naheliegend, auch in diesem Fall können erste Verfallserscheinungen mittelfristig zum Scheitern ganzer Change-Vorhaben führen. Darüber hinaus lassen sie sich im Fall agiler Methodeneinführungen aber auch im unmittelbaren Sinn anwenden - dann nämlich wenn es zur Beschädigung oder Verwahrlosung physischer Objekte kommt.

Den agilen Ansätzen kann in diesem Zusammenhang zum Verhängnis werden, dass mit ihnen in der Regel eine intensive Nutzung von an die Wand gehängten "Information Radiators" einhergeht. Kanban-Boards, Product Backlogs, Impediment Backlogs, Personas, Burndown Charts, Roadmaps und viele weitere Fortschrittsindikatoren gehören zum alltäglichen Erscheinungsbild der Arbeitsräume agiler Teams. An ihnen werden Unstimmigkeiten schnell offensichtlich.

Meistens beginnt der Verfall verhältnismässig unspektakulär. In einer Stressphase werden Sprint Backlog und Burndown-Chart nicht aktualisiert, in einem Offsite gesammelte Anforderungen werden nicht sofort nach der Rückkehr an die Wand übertragen, die nicht mehr zur neuen Firmenstrategie passenden Personas bleiben wegen ihrer dekorativen Wirkung hängen, etc. Nach und nach baut sich eine Bugwelle an notwendigen Aktualisierungen auf.

In Summe wird die aufzuholende Arbeit immer mehr, Prokrastination beginnt und setzt sich fest, auf weitere Verschlechterungen "kommt es jetzt auch nicht mehr an", so dass sie bewusst toleriert werden. Vor allem wenn der letzte Punkt erreicht ist, ist der Broken Window-Effekt in vollem Gang. Im harmloseren Fall wird die Arbeit jetzt durch ein schlecht koordiniertes Miteinander digitaler und physischer Tools koordiniert, im schlechtesten Fall findet sie nur noch auf Zuruf statt.

Im Gesamtbild ergeben die vielen vernachlässigten und veralteten Objekte zusammen mit den immer schlechter laufenden Prozessen irgendwann ein immer negativer werdendes Bild. Den Betrachtern kommen problematische Assoziationen in den Sinn: Ungepflegtheit, Vernachlässigung, Verwahrlosung. Früher oder später reift dann im Management die Überzeugung, dass die Mitarbeiter mit selbstorganisiertem Arbeiten überfordert sind und wieder "Führung" brauchen. Die Transition scheitert.

Will man es nicht bis zu diesem Punkt kommen lassen ist es sinnvoll und notwendig schon auf erste Zeichen des Broken Window-Effekts zu reagieren. Wann immer Information Radiators veralten muss allen Beteiligten ins Gedächtnis gerufen werden, dass es sich bei ihnen um ein Spiegelbild des Teamszustandes handelt. Alle (nicht nur der Scrum Master!) müssen daran arbeiten sie durchgehend aktuell und aussagekräftig zu halten, und zwar nicht nur für das Management sondern auch im eigenen Interesse.

Zuletzt noch ein Punkt der häufig in diesem Zusammenhang thematisiert wird: ein Umstieg von physischen auf digitale Tools würde hier Nichts besser machen - die Probleme würden nur weniger offensichtlich werden und sich länger hinziehen.

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