Donnerstag, 8. August 2019

The Agile Bookshelf: FLEAT

Bild: Wikimedia Commons / U.S. Department of Defense Current Photos - CC0 1.0
Viel Neues tut sich in den letzten Jahren nicht mehr im Bereich der Agilität. Seit der Vorstellung von Nexus im Jahr 2015 hat es keine nennenswerten Versuche mehr gegeben ein neues Vorgehensmodell zu entwickeln, weshalb im letzten Monat die Einladung zum Kölner PO-Meetup sofort Aufsehen erregt hat.
Dieses Mal geht es um "FLEAT", ein neues agiles Enterprise Framework: Das Enterprise-Unternehmen als Flottenverband ... eine vielversprechende Metapher. Das Buch von Thorsten Schaar und Uwe Habicher dazu kommt gerade in den Handel. Praktiziert wird FLEAT bei haufe schon. Aber was steckt dahinter?
Freundlicherweise hat Uwe mir im Anschluss auch ein Exemplar seines Buches zukommen lassen, das ich in letzter Zeit durchgelesen habe und jetzt besprechen kann.

Was ist FLEAT?

Ein bei Haufe-Lexware erfundenes agiles Framework, dessen Name unabgekürzt "Fluid Enterprise Agility Transformation" lautet. Was es interessant macht: es konzentriert sich auf einen Bereich der von den gängigen Ansätzen noch nicht besetzt ist. Während es in Scrum, SAFe, Nexus und LeSS um Lieferzyklen, Rollen und Meetings geht, in Design Thinking um Kreativität, in Kanban um die Optimierung von Arbeitsflüssen und in XP um technische Praktiken steht bei FLEAT etwas anderes im Vordergrund: Investitionsentscheidungen.

Die verschiedenen "Schiffstypen"

Je nach Fortschrittsgrad wird unterschieden zwischen der Startbahn, dem Floss, dem Ruderboot, dem Dampfschiff und dem Kreuzfahrtschiff. Ideen für ein neues Fahrzeug darf dabei jeder im Unternehmen haben, ob darin investiert wird ist aber eine Management-Entscheidung. Die Investition in die Startbahnphase besteht noch aus der Arbeitszeit die den Mitarbeitern für die Ausarbeitung von Ideen zur Verfügung steht, das Floss enthält eine Frühfinanzierung (die ggf. klein genug für eine schmerzfreie Abschreibung ist), das Ruderboot erhält bereits in nennenswertem Ausmass Ressourcen, das Dampfschiff ist schon eines der wichtigen Investments, das Kreuzfahrtschiff ist gross genug um Kern einer eigenen, neuen Flotte zu werden.

Wer ist die Zielgruppe?

Auf den ersten Blick "Leute mit Budget". Ob das die Geschäftsführung ist, der Chief Innovation Officer oder sonst jemand - er muss die Investitionen tätigen (und ggf. die Verluste verantworten) können auf denen der Ansatz beruht. Hier liegt eine Stärke von FLEAT, da sich diese Gruppe in den anderen, eher operativen Frameworks nicht immer wiederfindet. Auf den zweiten Blick stehen aber auch die Mitarbeiter im Mittelpunkt, denen es durch das Einbringen und Verwirklichen von ihren Ideen ermöglicht wird zu Intrapreneuren zu werden.

Ist das denn agil?

Ja, ist es. Es mag eine andere Art der Agilität sein als die die man mit Scrum, Kanban, XP und den Skalierungsframeworks verbindet, es hat aber das entscheidende Element: Reaktionsgeschwindigkeit. Neue Ideen sollen schnell aufgegriffen werden, schnell validiert werden und schnell (und früh) scheitern können - überwiegend schon in den frühen Phasen. Um das zu erreichen sollen die "Schiffe" an den aus anderen Frameworks bekannten Prinzipien ausgerichtet sein: kundenzentriert, End-to-End-verantwortlich, autonom, sich kontinuierlich verbessernd, etc.

Ist es wirklich neu?

Nur eingeschränkt. Die Idee durch die Investition in kleine, innovative Einheiten das Risiko von grösseren Verlusten zu minimieren ist aus Ansätzen wie der Effectuation schon länger bekannt, Konzepte wie Intrapreneurship und Minimum Viable Products (möglichst früh validierbare Produktumfänge) kommen auch im Lean Startup vor, autonome und crossfunktionale Teams gibt es auch in Scrum, bzw. seinen Skalierungsframeworks. Was man FLEAT lassen kann ist, dass diese Elemente zu einem in sich konsistenten Ganzen paketiert wurden. Und was ist schon wirklich neu?

Gibt es Probleme?

Wo gibt es die nicht? Ins Auge springt vor allem, dass die Mitarbeiter in den frühen Evolutionsstufen (Startbahn, Floss, Ruderboot) nur in Teilzeit für das Vorhaben arbeiten und in der restlichen Zeit in ihren bisherigen Jobs. Die damit verbundenen Effizienzverluste (durch Kontextwechsel, Terminüberschneidungen, Priorisierungskonflikte, etc.) haben dazu geführt, dass derartige Arbeitsmodelle in der agilen Bewegung eigentlich verpöhnt sind. Auch die geringe Kompatibilität mit den typischen Organisationsprinzipen von Konzernen (organisatorische Silos, "mittelfristige" Finanzplanung, funktionale Querschnittsorganisationen) dürfte eine Herausforderung werden. Und die angestrebte Kommerzialisierung (siehe hier) dürfte bei weiten Teilen der anti-komerziell entstandenen agilen Community zu Abstossungsreaktionen führen.

Wie gross/erfolgreich wird FLEAT werden?

Eine spannende Frage. Sicherlich würde vielen Firmen dieser Ansatz mehr als nur gut tun (und das Ansetzen an der Finanzierung hätte eine gewaltige Hebelwirkung), die zuvor genannten Probleme dürften aber in den meisten Fällen beachtliche Hindernisse für eine öffentlichkeitswirksame Umsetzung sein. Sollte trotzdem eine gelingen wäre das ein Verkaufsargument auf dem sich aufbauen liesse. Eine "Massenbewegung" wie Scrum oder Kanban dürfte aufgrund der oben genannten anti-komerziellen Reflexe zwar auch dann nicht entstehen, aber vielleicht muss es das auch gar nicht. Und selbst wenn es nur dazu kommen sollte, dass FLEAT als weitere verfügbare Alternative dafür sorgt, dass "Enterprise Agility" nicht mehr automatisch mit SAFe gleichgesetzt wird - allein das wäre ein grosser Fortschritt.

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