Montag, 13. Januar 2020

Wir müssen uns den Scrum Master als glücklichen Menschen vorstellen

Bild: Pixabay / Mohamed Hassan - Lizenz
Wenn irgendwo Scrum neu eingeführt wird nimmt das Gespräch häufig eine unerwartete Wendung. Zu Beginn folgt fast immer die Frage, ab wenn der Scrum Master denn nicht mehr benötigt wird - irgendwann hat das Team schliesslich Scrum gelernt und die Impediments sind weg. Die Antwort darauf: nie. Scrum erodiert mit der Zeit und muss immer wieder neu aufgefrischt werden, und Impediments erweisen sich als "nachwachsender Rohstoff". An dieser Stelle kann die Skepsis gegenüber dieser Rolle in Mitleid umschlagen. "Dann muss der ja immer wieder von vorne anfangen. Was für eine Sisyphos-Arbeit!"

Warum diese Beschreibung zwar richtig, Mitleid dennoch fehl am Platz ist, erschliesst sich bei einer kurzen Recherche. Wer war dieser Sisyphos, von dem hier die Rede ist? Es handelte sich um einen sagenhaften griechischen König, der von den Göttern für frevelhaftes Verhalten hart bestraft wurde. Für alle Ewigkeit muss er einen Fels einen Berg hinaufrollen, der ihm dann aber jedesmal kurz vor dem Gipfel entgleitet und zurückrollt. Immer rund immer wieder. Aber wie gesagt, Mitleid ist dennoch fehl am Platz.

Diese scheinbar widersinnige Aussage lässt sich zurückführen auf Albert Camus, einen der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts und sein Werk "Der Mythos des Sisyphos". Camus geht in ihm davon aus, dass die Vergänglichkeit aller Dinge das Leben sinnlos macht. Egal was die Menschen tun, egal was sie vollbringen, es gibt ihrem Dasein nur für eine kurze, beschränkte Zeit einen Sinn, der danach wieder in sich zusammenfällt. Der Einzige der dieser Absurdität entgeht ist eben Sisyphos, der als Einziger eine Aufgabe von Dauer hat, in der er aufgehen und dauerhafte Erfüllung finden kann.

Jedes mineralische Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos

An dieser Stelle kommen wir zurück zum Scrum Master. Auch er gehört zu den wenigen Menschen seiner Unternehmung, deren Bestimmung eine dauerhafte ist. Er hat kein Produkt, dessen Lebenszyklus irgendwann zu Ende ist, keine Karriere, die früher oder später ihren Endpunkt erreicht, keine Tätigkeit, die der technische oder der gesellschaftliche Fortschritt irgendwann obsolet machen werden. So lange sich Komplexität und Entropie gegenseitig bedingen, wird er seine Berufung haben.

Für viele Menschen ist diese Vorstellung eine furchtbare. Ein Leben, das man mit den Worten von Karl Scheffler beschreiben könnte - immer werden, niemals sein -, das soll erstrebenswert sein? Ja, ist es, wenn man bereit ist sich darauf einzulassen. Zu akzeptieren, dass ständige Veränderungen unvermeidbar sind, ermöglicht eine Neuausrichtung der eigenen Ziele. Statt Sicherheit und Stabilität anzustreben und immer wieder daran zu scheitern, ermöglicht das ständige Willkommenheissen und und Bewältigen von Veränderungen ständige Erfolgserlebnisse. Das alte konfuzianische Motto, dass der Weg das Ziel ist, wird so mit Leben gefüllt. Oder, frei nach Camus:

Wir müssen uns den Scrum Master als einen glücklichen Menschen vorstellen.

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