Montag, 20. Juli 2020

Stabile Teams


Bild: Wikimedia Commons / Zossolino - CC BY-SA 4.0

"Ok, für das neue Projekt braucht es also ein Entwicklungsteam von fünf Personen, mal sehen. Einen könnten wir sofort zur Verfügung stellen, nur in einem Monat müssten wir ihn für einen Release drei Wochen rausziehen, in der Zeit kommt aber jemand als Vertretung. Zwei weitere könnten wir in zwei Wochen zur Verfügung stellen, aber nur bis zum Beginn des Weihnachtsgeschäfts. Dann stellen wir aber auch zwei Neue ein die sie ersetzen können. Die beiden letzten Stellen würden wir wechselnd besetzen, je nachdem welches andere Projekt gerade Leute entbehren kann."

Überlegungen wie diese kann man in vielen grossen Organisationen hören wenn neue Vorhaben geplant werden, und dass sie häufig vorkommen ist auch kein Zufall. Es sind zwei tayloristische Grundprinzipien deren Anwendung zu derartigem Ressourcen-Tetris führt: zum einen, dass eine möglichst hundertprozentige Auslastung aller Angestellten anzustreben ist und zum anderen, dass die Menschen auf der untersten Ausführungsebene ohne grosse Probleme austauschbar sind. In Frederick Taylors Stahlwerk mag das auch funktioniert haben, in der Wissensarbeit führt es aber zu Problemen.

Selbst wenn man ausser Acht lässt, dass alleine die Idee einer Vollauslastung hochproblematisch ist (mehr dazu hier) wird der Versuch der Ressourcenoptimierung in einem Wissensberuf wie IT, Marketing, etc. zu permanenten Effektivitätsverlusten führen. Der Grund: er lässt sich nur mit ständigem Neu-Zuordnen momentan untätiger Mitarbeiter zu den aktuell arbeitsintensivsten Vorhaben durchführen. Das erscheint zwar auf den ersten Blick sinnvoll, da so Untätigkeit vermieden werden soll. Auf den zweiten Blick fallen aber Probleme auf.

Am offensichtlichsten ist der Wegfall von Routinen und Erfahrungswerten. Wer sich ständig in neue Aufgabengebiete und Anwendungen hineindenken muss, die bisher von anderen bearbeitet worden sind, wird sich häufiger einlesen müssen, Fehler machen und diese korrigieren müssen. Falls die Folgen bereits gemachter Fehler mit zeitlichem Versatz auftreten kann es sogar nötig sein Reparaturen vorzunehmen ohne bei den ursächlichen Handlungen dabeigewesen zu sein, was das Ganze nochmal erschwert.

Ebenfalls naheliegend ist, dass häufige personelle Wechsel das Teambuilding deutlich erschweren. Dort wo ständig neue oder nur vorübergehend anwesende Kollegen in den gemeinsamen Runden sitzen wird sich nur schwer ein Gefühl der psychologischen Sicherheit einstellen. Und selbst wenn man diesen weichen Aspekt beiseite lässt bleibt noch das Problem, dass im Team getroffene gemeinsame Entscheidungen immer wieder verhandelt werden müssen wenn sich jeder daran gebunden fühlen soll.

Weniger offensichtlich aber in den Auswirkungen extrem weitreichend ist ein anderer Effekt: wenn sich das bedarfsgetriebene Hin- und Herschieben von Personal einmal etabliert hat wird es nicht nur dann stattfinden wenn jemand gerade nichts zu tun hat sondern auch dann wenn an einer anderen Stelle etwas zu tun ist das wichtiger ist als die aktuelle Tätigkeit. Die Folge ist ein Liegenbleiben und Aufstauen unerledigter Arbeit, mit der häufigen Folge dass nichts mehr richtig fertig wird und überall Behelfslösungen im Einsatz sind.

Um diese negativen Effekte zu vermeiden ist es sinnvoll stabile Teams einzurichten. Damit ist nicht gemeint, dass sich deren Zusammensetzung nie ändern darf, es bedeutet aber, dass nicht jede Unter- oder Überlastung sofort ein Grund für eine organisatorische Veränderung sein sollte. Dass dadurch keine hundertprozentige Optimierung der jeweiligen Arbeitszeiten mehr möglich ist sollte bewusst hingenommen werden, zum einen weil diese durch die Effektivitätsverluste mehr als ausgeglichen würde, zum anderen weil so Zeit zur Abarbeitung der liegengebliebenen Arbeit entsteht.

So naheliegend das auch erschent, für grosse Organisationen sind stabile Teams etwas hochgradig Ungewohntes, das sich nur schwer umsetzen lässt. Dort wo das Hin- und Herschieben zwischen Projekten, Taskforces, Stabilisierungsphasen und Sondereinsätzen Normalität ist sorgen stabile Teams nämlich zunächst für Störungen in den Abläufen - wer daran gewohnt ist in Stressphasen mehr personelle Unterstützung anfordern zu können wird es als Behinderung seiner Arbeit empfinden wenn das nicht mehr geht.

Um zu verhindern dass diese Stabilisierung direkt im ersten Belastungsfall weg-eskaliert wird ist eine Rückendeckung der höheren Entscheidungseben hilfreich. Und wenn diese zuerst überzeugt werden müssen - um so besser. Denn wer stabile Teams will sollte erklären können warum.

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