Montag, 23. September 2019

Jack of all trades, Scrum Master of none

Bild: Pixabay / Moise Theodor - Lizenz
Liest man im Scrum Guide nach welche Aufgaben ein Scrum Master alles übernehmen soll kann einem schnell schwindelig werden. Er soll das Team in Richtung Selbstorganisation coachen, soll Hindernisse beseitigen, Meetings moderieren, den Product Owner methodisch unterstützen und Change Management in der umgebenden Organisation betreiben. Je nach Umfeld sind noch weitere Themenfelder nötig: XP-Techniken, Liberating Structures, Design Thinking, Konflikt-Mediation, Skalierung, etc. etc. etc.

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es Menschen gibt die all das aus dem Stand beherrschen, viele sind es aber nicht. Da es den Beruf noch nicht lange gibt kommen meisten Scrum Master ursprünglich aus einem anderen Betätigungsfeld, Klassiker sind dabei Softwareentwicklungs-Spezialisierungen (Entwickler, Konzepter, Tester), Projektmanager oder IT-ferne Coaching-Berufe. Aus einem solchen Hintergrund heraus zu einem "universal gebildeten Spezialisten für alles" zu werden ist schwer, und vor allem dauert es Zeit.

Wenn man nicht den Luxus hat in einer Gruppe von Scrum Mastern zu arbeiten, in der einzelne Mitglieder sich unterschiedliche Schwerpunkte suchen können, bleibt die Wahl zwischen zwei Ausrichtungen: Spezialisierung und Generalisierung. Entweder man geht in einem (oder wenigen) Wissensgebieten in die Tiefe oder man erwirbt ein Grundwissen in möglichst vielen. In der überwiegenden Zahl der zu beobachtenden Fälle1 fällt die Entscheidung auf Variante Eins.

Dass das problematisch ist, ist intuitiv ersichtlich, schliesslich werden wichtige Felder bewusst nicht beackert. Die wahre Dimension erschliesst sich aber wenn man bedenkt, dass in den meisten Fällen die Spezialisierung in den "teamnahen" Themenfeldern stattfindet. Um nicht falsch verstanden zu werden - gekonnte Meeting-Moderation und gute Coaching-Techniken sind wichtig, wenn für sie aber (agil) strukturiertes Produktmanagement und das Alignment mit der umgebenden Organisation wegfallen ist nichts gewonnen. Die Scrum-Implementierung wird dann schwere Dysfunktionen haben.

Die Alternative ist vielversprechender: ein Grundverständnis aller relevanten Bereiche sogt zum einen dafür, dass sich nicht irgendwo unbemerkt Antipattern ausbreiten können, zum anderen ist es die Ausgangslage dafür, zielgerichtet andere Teammitglieder zur eigenen Entlastung einbinden zu können. Zum Beispiel kann die Meeting-Moderation in den meisten Fällen von Teammitgliedern selbst übernommen werden, so dass dort nur noch eingesprungen werden muss wenn ein neutraler Vermittler nötig ist.2

Zuletzt ist ein breites Grundverständnis die Voraussetzung dafür, dass in späteren Phasen der Selbstentwicklung entschieden werden kann wo eine Vertiefung der Kenntnisse den grössten Mehrwert stiften kann. Wichtig ist dabei aber die Reihenfolge: erst das breite Verständnis, dann die Vertiefung in einzelne Themen. Nicht umgekehrt.


1Basierend auf der eigenen Beratungserfahrung und dem Austausch in der agilen Community im Rheinland
2Ironie der Geschichte: diese Tätigkei zu delegieren fällt vielen Scrum Mastern besonders schwer

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