Montag, 5. Oktober 2020

Geht zur nächsten Windows-Schulung!

Bild: Pixabay / Escola Espai - Lizenz

Würde man nach Veranstaltungen suchen die in der IT hochgradig unbeliebt sind, dann gäbe es sicher eine die weit vorne dabei ist: die verpflichtende Microsoft Windows-Schulung, die in vielen Unternehmen für jeden Mitarbeiter vorgesehen ist der neu ist oder der eine neue Windows-Version erhält1. Jeder der in der Softwareentwicklung tätig ist wird alleine bei der Ankündigung genervt fragen was er da noch lernen kann. Die überraschende Antwort - sehr viel, vorausgesetzt eine Sache ist gegeben. Der eigene Arbeitskontext muss einer sein bei dem Anwendungen für den internen Gebrauch entwickelt werden.


Was sich in diesem Fall hier gewinnen lässt ist ein gutes Verständnis der eigenen Zielgruppe, schliesslich sind die Kollegen in dieser Schulung im Zweifel auch die, die später auch die Software benutzen werden an der man selbst arbeitet. Und selbst wenn es um diese in dem Moment nicht geht - man kann trotzdem beobachten wie die Interaktion mit neuen Funktionen und Benutzeroberflächen vor sich geht und Rückschlüsse daraus ziehen.

 

Die offensichtlichste Erkenntnis betrifft die EDV-Affinität. Kennen die Schulungsteilnehmer die Fachbegriffe ("Was ist ein Browser?"), wissen sie wie man durch Dateien navigiert ("Im C-Laufwerk ist nichts") und sind ihnen die wichtigsten Troubleshootings bekannt ("Das Programm hatte sich aufgehängt, ich hab es mit dem Task-Manager geschlossen")? Basierend auf diesen Informationen kann entschieden werden wie kompliziert die eigene Anwendung sein darf und wie gut sie dokumentiert sein muss.


Auch über die Bereitschaft sich in neue Funktionalitäten einzuarbeiten und neue Designs zu akzeptieren kann man hier viel lernen. Gibt es Beschwerden darüber, dass Outlook nicht mehr gelb ist? Wird Freude darüber geäussert von Skype auf Teams-Calls umzusteigen? Abhängig davon kann entschieden werden ob Bedienelemente oder Styleguide sich eher an bisherigen Standards orientieren sollten oder ob man Neues ausprobieren kann.


Ein weiterer Aspekt sind die Hilfsmittel die üblich sind und ggf. erwartet werden. Reicht eine Beschreibung in Textform? Werden Anleitungen mit kommentierten Screenshots erwartet? Gibt es eine Akzeptanz für Wikis, Chatbots und Schulungsvideos oder wird ein Kursleiter erwartet der Fragen beantworten und bei Problemen helfen kann? Für das Rollout der eigenen Features kann später auf dieses Wissen zurückgegriffen werden.


Eine oft vernachlässigte Erkenntnis bezieht sich auf den Grad des Austausches zwischen den Kollegen. Bitten sie sich gegenseitig um Hilfe oder bieten sie sich diese sogar von selbst untereinander an? Oder sitzt jeder still vor seinem Rechner und ruft nur den Kursleiter per Handzeichen zu sich? Je nachdem was der Fall ist kann es für das eigene Produkt ausreichend sein nur jeweils einem "Multiplikator" pro Team Neuheiten vorzustellen oder besser alle einzuladen.


Nicht zu unterschätzen ist auch, dass man lernen kann wie gerne überhaupt in Schulungen gegangen wird. Von "endlich mal was Neues" bis "während wir hier Zeit verschwenden türmt sich bei uns die Arbeit" sind alle möglichen Reaktionen denkbar, und aufbauend darauf kann entschieden werden ob man zukünftig eher häufig oder eher seltener zu Demonstrationen und Hands on-Sessions einlädt.


Zuletzt, und vielleicht ist das sogar das Wichtigste, kann man auf Windows-Schulungen auch etwas über sich selbst lernen. Kommen einem bestimmte Dinge vielleicht selbstverständlicher vor als sie sind (um das Naheliegendste zu nennen - geht man z.B. davon aus, dass eigentlich jeder weiss wie Windows funktioniert)? Und kann es sein, dass man in die eigene Zielgruppe viel von sich selbst hineinprojiziert? Die Antwort auf diese Fragen kann ernüchternd sein, sie verhindert aber, dass man Anwendungen versehentlich für sich selbst entwickelt statt für die Menschen für die sie eigentlich gedacht sind. 


1In vielen Firmen ist die Umstellung auf Windows 10 noch nicht abgeschlossen. Ein eigenes Thema.

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