Mittwoch, 28. Oktober 2020

Die Testautomatisierungs-Falle (und wie man ihr entkommt)

Bild: Flickr / Karen Rustad Tölva - CC BY 2.0

In den Diskussionen um Psychologische Sicherheit, Kultur, "Agile Mindset" und Change Management geht es manchmal unter, aber zumindest im IT-Kontext hat Agilität auch immer eine sehr technische Seite, ohne die schnelle Reaktions- und Lieferfähigkeit weder denkbar noch umsetzbar ist. Einer der wichtigsten Aspekte ist dabei die Automatisierung der Software-Tests, also der Qualitätssicherung der neu erstellten Funktionalitäten. Und wie so oft gilt auch hier - es reicht nicht es zu machen, man muss es auch richtig machen.


Zur Erinnerung: während die Abnahme-Tests im Sprint noch irgendwie mit manueller Arbeit zu stemmen sein können ist das bei den Regressionstests nicht mehr der Fall. Unter denen versteht man das regelmässige Überprüfen aller (!) älteren Funktionen, womit sichergestellt wird, dass diese nicht versehentlich durch neuere Entwicklungen beschädigt wurden. Bei grösseren IT-Systemen kann das eine fünfstellige Anzahl an Tests erfordern, was bei manuellem Durchklicken Wochen und Monate dauern kann.


Die einzige Lösung wenn man schnell sein will ist das Automatisieren möglichst aller Regressionstests. Erst wenn diese von einem Computerprogramm ausführbar sind können die erforderlichen Mengen und Geschwindigkeiten erreicht werden die nötig sind um Fehler schnell entdecken und beheben zu können. Ohne Testautomatisierung kommen bei grösseren Systemen die Jahres- und Quartals-Releases zurück. Aber (Ironie der Geschichte): auch eine falsch durchgeführte Testautomatisierung kann den selben Effekt haben.


Um aussagekräftig zu sein müssen die automatisierten Testsuiten immer dem aktuellen Stand der jeweiligen Anwendungsentwicklung entsprechen, sonst geben sie Fehlermeldungen aus sobald ein Feature verändert wurde, die Aktualisierung der Tests aber noch nicht stattgefunden hat. Das Risiko ist schnell erkennbar: wenn bei grösseren Änderungen hunderte von Tests aktualisiert werden müssen kann das einen Pflegeaufwand bedeuten, der wieder Wochen und Monate dauert - damit ist man wieder bei den Zeiträumen die man vorher hatte.


Um diesem Phänomen (der so genannten "Testautomatisierungs-Falle") zu entgehen müssen Erstellung und Struktur der automatisierten Tests an die agilen Entwicklungsprozesse angepasst werden. Wie das im Einzelfall aussieht kann von Fall zu Fall anders aussehen, folgende Grundsätze sind aber sehr häufig: Zusammenlegung von Test- und Entwicklungsteam, Modularisierung und Parametrisierung.


Die Zusammenlegung von Test- und Entwicklungsteam ist die einfachste, weil eher organisatorische Massnahme. Statt zwischen Entwicklung und Test einen kleinen Wasserfall aufzubauen werden die Tests jetzt gleich vom Entwicklungsteam erstellt, wodurch sie schneller fertig und aktueller sind. Ein unterschätzer Nebeneffekt kommt dazu: die "Tester" können in diesem Vorgehen selbst programmieren, was die Voraussetzung für Automatisierung ist.


Die Modularisierung sorgt dafür, dass der Instandhaltungsaufwand sinkt. Wenn z.B. nicht mehr in jedem von 100 Tests die Login-Schritte separat ausgeführt werden, sondern diese Schritte nur noch aus einem einzigen zentral gepflegten Modul abgerufen werden, muss ein geänderter Login-Vorgang nur noch einmal geändert werden statt 100 mal. Der Instandhaltungsaufwand sinkt damit auf 1% seines Umfangs (!).


Ähnliche Auswirkungen hat eine Parametrisierung. Bei ihr werden veränderbare Variablen (Testumgebungen, Browser, Testdaten, etc.) nicht mehr hart in den Test gecodet sondern ebenfalls zentral gepflegt. Bei der Test-Suite einer Web-Anwendung reicht es dann eine einzige zentrale Einstellung zu ändern und hunderte Tests laufen auf Firefox statt auf Chrome. Auch hier sinkt der Instandhaltungsaufwand immens.


Es ist offensichtlich, dass (und warum) die Testautomatisierungs-Falle und die dazugehörenden Gegenmassnahmen von zentraler Bedeutung für agile Software-Entwicklung sind. Und ganz nebenbei ergibt sich aus ihnen übrigens auch ein brauchbarer Lackmustest für Agile Coaches und Scrum Master. Die müssen nicht selbst Tests automatisieren können, sie sollten die Testautomatisierungs-Falle aber beschreiben können. Wenn das nicht geht sind sie (noch) zu technikfern.

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