Donnerstag, 27. Juni 2019

Change Fatigue (II)

Bild: Pixabay / TotumRevolutum - Lizenz
Altersbedingt (Ende der 70er geboren) gehöre ich zu der Generation, deren Erwachsenwerden mit dem endgültigen Siegeszug der Digitalisierung zusammengefallen ist. Bedingt dadurch habe ich auch die letzten Rückzugsgefechte der Menschen erleben dürfen, die glaubten, dem mit Einmal- oder Teilaufwänden begegnen zu können. An meiner Universität etwa beharrten manche Professoren auf der Nutzung von WordPerfect. Ein Textverarbeitungsprogramm gelernt zu haben sollte ihrer Meinung nach für den Rest ihres Lebens reichen, das Erlernen eines zweiten (MS Word) lehnten sie ab. Auch in meinem ersten Job traf ich vergleichbare Menschen. Word und Outlook hatten sie sich unter Schmerzen beibringen lassen, der Nutzung von Excel und Powerpoint verweigerten sie sich. Die Begründung: irgendwann müsse es doch genug sein mit "diesen immer neuen Computerprogrammen".

Zwar sind das Anekdoten der Vergangenheit, man kann sie aber auch als Parabel für die Gegenwart einsetzen. Damals wie heute werden die Menschen in ihrem Berufsleben mit immer neuen Tools konfrontiert. Damals Outlook, heute Slack. Damals Word und Excel, heute Jira und Confluence. Et cetera. Und sowohl bei den vergangenen als auch bei den gegenwärtigen Neuerungen sind die irgendwann auftretenden Ermüdungserscheinungen vergleichbar. "Schon wieder ein neues Tool?" "Das alte funktioniert doch noch!" "So viel mehr kann das Neue doch auch nicht!" "Können wir uns nicht endgültig auf eine Lösung einigen und dabei bleiben?" Diese und ähnliche Äusserungen dürften sich quer durch die Arbeitswelt der letzten 25 Jahre ziehen (übrigens auch quer durch alle Altersklassen).

Was die Erzählung von der Word-, Outlook- und Excel-Ablehnung besonders macht, ist ihr im Rückblick besonders deutlich erkennbarer Anachronismus. Aus heutiger Sicht erscheint sie genauso irrational wie eine Ablehnung von Kugelschreibern, Notizblöcken und Briefmarken, so sehr sind die Office-Programme mittlerweile in den Alltagsgebrauch übergegangen. Es lohnt sich ein Gedankenexperiment: wie anachronistisch wird die heutige Ablehnung neuer digitaler Werkzeuge in 15 oder 25 Jahren wirken? Wie vorgestrig werden diejenigen erscheinen, die nicht mit Chatprogrammen arbeiten wollen, da sich doch alles mit Emails verschicken lässt? Wie aberwitzig wird die Aussage herüberkommen, kein Wiki zu brauchen, da es doch gemeinsame Laufwerke gebe?

Natürlich, für jeden der heute das Gefühl hat, sich an immer neue Tools gewöhnen zu müssen, sind solche Gedanken nur bedingt tröstlich. Und ja, nicht alles was zur Zeit neu eingeführt wird werden wir in 10 Jahren noch benutzen. Ist es demnach nicht ein vertretbarer Mittelweg sich erstmal zurückzuhalten, andere die ersten Erfahrungen machen zu lassen und erst dann mit einzusteigen, wenn sich die neue Idee durchgesetzt hat? So verlockend das auch klingen mag, eine Option ist es leider nicht. Konsequent durchgezogen würde es die eigene Firma zum Nachzügler der Modernisierung machen, bei dem neue Möglichkeiten erst als letztes genutzt werden können und um das alle mit Pioniergeist und Zukunftsoffenheit ausgestatteten Arbeitskräfte einen grossen Bogen machen werden. Ein solches Unternehmen wird kaum wirtschaftlich erfolgreich sein.

Es bleibt das finale Argument: "Aber ich kann nicht mehr!" "Die ganzen Veränderungen sind zu viel für mich!" "Nimmt den hier keiner Rücksicht auf mich?" Ein Aufschrei dem man kaum begegnen kann ohne hartherzig zu wirken, oder? Das kann man auch anders sehen. Nur weil einige nicht mehr dazulernen wollen, soll eine ganze Organisation ihre Zukunfsfähigkeit aufs Spiel setzen, und mit ihr auch die aller anderen Angestellten, die in einer veraltenden Arbeitswelt eingekapselt sein würden? Das kann nicht die Lösung sein. Ohne die Bereitschaft zur Veränderung sind die meisten Jobs heute nicht mehr ausübbar. Diese Erkenntnis ist nicht für jeden schön, an ihr vorbeikommen wird man aber genausowenig wie die zu Beginn erwähnten Damen und Herren an Word und Excel vorbeigekommen sind.

Related Articles