Donnerstag, 13. Januar 2022

Ein neuer agiler Ansatz: das Unfix Model

Bild: Unsplash / Marvin Meyer - Lizenz

Eigentlich könnte man denken, dass der Markt für agile Vorgehensmodelle gesättigt ist. Auf Teamebene hat sich Scrum durchgesetzt, vor Kanban und mit weitem Abstand dahinter Extreme Programming, auf Ebene der Skalierungsframeworks liegen SAFe und das so genannte Spotify Model vorne, dahinter ebenfalls mit grossem Abstand die Scrum-Skalierungen LeSS, Nexus und Scrum@Scale sowie Flight Level-Kanban und Disciplined Agile. Zum ersten mal seit langem gab es in letzter Zeit aber neue Ansätze, 2021 das Fast Framework und Anfang 2022 ein noch neueres: das Unfix Model (zu finden hier).


Hinter diesem neuen Namen steckt Jurgen Appelo, der breiteren Öffentlichkeit als Erfinder von Management 3.0 bekannt, das er auch als eine der Inspirationen für seine neueste Erfindung nennt. Die anderen sind das Spotify Model und die Bücher Dynamic Reteaming, Team Topologies und Turn the Ship around, aus denen er jeweils verschiedene Elemente übernommen hat. Erstmals vorgestellt wurde die Idee zu Unfix im Herbst 2021, der offizielle Start war im folgenden Januar. Wichtig für ihn: Unfix soll kein Framework mit festen Vorgaben sein, sondern eine "Pattern Library" aus optionalen Bausteinen.


Zum Inhalt: die Grund-Einheit in Unfix ist die so genannte Base, eine Gruppe von bis zu 150 Menschen, die an einem gemeinsamen Produkt arbeiten und einen oder mehrere Chiefs als Vorgesetzte haben (je nach Gesamtgrösse, bei kleineren reicht einer). Eine Base muss alle für das Produkt nötigen Arbeiten selbst ausführen können, d.h. dafür qualifizierte Mitglieder haben. Feste Untergruppen existieren nicht, bei sehr arbeitsintensiven Produkten können aber mehrere Bases für jeweils ein Teilprodukt verantwortlich sein und zusammen eine so genannte Super-Base bilden.1


Innerhalb der Bases können bei Bedarf kleinere Untereinheiten von ca. fünf Personen temporär oder für längere Zeit gebildet werden, die so genannten Crews. Idealerweise sind es crossfunktionale und End to End-verantwortliche Value Stream Crews, ebenfalls möglich sind aber auch Facilitation Crews (aus Coaches und Trainern), Capability Crews (Komponenten-Teams), Governance Crews (aus mehreren Chiefs), Platform Crews (z.B. Infrastruktur), Experience Crews (Kunden- und Nutzerservice) und Acquisition Crews (Einkauf). Teilzeit-Mitgliedschaften in ihnen sind nicht wünschenswert aber möglich.


In den Crews tritt auch eine weitere Unfix-Rolle auf, der Captain, von denen es nur einen pro Crew geben darf. Je nach Ausgestaltung kann seine Rolle vergleichbar mit der eines Product Owners oder eines Themenverantwortlichen sein, wichtig ist nur, dass er in seinem Verantwortungsgebiet nicht weisungsgebunden ist und auch selbst kein Vorgesetzter anderer Base-Mitglieder ist. Er soll ihnen inhaltliche, aber keine disziplinarische Führung geben. Bei Bedarf können auch weitere fachliche oder technische Lead-Rollen eingeführt werden, die aber immer einem Captain zuarbeiten müssen.


Für die Koordination zwischen den einzelnen Crews existieren Querschnittseinheiten, die Forum genannt werden. Welche das sind kann je nach Bedarf entschieden werden, von technischen Standards bis hin zu organisatorischen Themen lässt sich für alles Denkbare ein Forum einrichten. Foren werden von einem Chair moderiert, sind in der Form ihrer Zusammenarbeit selbstorganisiert, nicht aber in der Themenauswahl. Sie werden durch die Chiefs gegründet und erhalten Arbeitsaufträge von den Captains. Wenn zwei Bases eine Super-Base bilden können gleichartige Foren ein Super-Forum bilden.



Das ist es, das Unfix Model. Wie Appelo selber schreibt ist eigentlich nichts davon neu, jedes Element findet sich unter irgendeinem Namen bereits in zahlreichen Unternehmen wieder. Sein Anspruch ist aber, alles zum ersten mal gebündelt und mit wiedererkennbaren Benennungen versehen zu haben. Und für alle die an einer Abgrenzung zu anderen Frameworks interessiert sind findet sich auf der Website ein Vergleich mit SAFe, LeSS und dem Spotify Model. Dem letzten dürfte Unfix auch am ähnlichsten sein, selbst wenn Appelo die bei ihm fehlende Matrix-Struktur als grundlegenden Unterschied sieht.2


Ob Unfix eine grössere Verbreitung finden wird bleibt abzuwarten, das Dynamic Reteaming in den Crews dürfte aber viele Unternehmen abschrecken. Andererseits hat es mit seinem Schöpfer ein international bekanntes und populäres Zugpferd, was zu einer schnellen Verbreitung beitragen könnte. Und was man nicht vergessen darf: am Anfang gab es auch grosse Skepsis gegenüber dem Spotify Model (zu alberne Namen) und gegenüber SAFe (viel zu kompliziert). Wir werden sehen wie es sich entwickelt.


Nachtrag 16.04.2022:



1Wie bei den meisten agilen Frameworks gilt auch bei Unfix, dass es mit einer Terminologie verbunden ist die gewöhnungsbedürftig sein kann.
2Er leitet das daraus ab, dass bei ihm weder die Captains noch die Chairs disziplinarische Führung ausüben.

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