Donnerstag, 25. Mai 2023

Chapter Leads & Group Leads

Bild: Pexels / Yan Krukau - Lizenz

Noch einmal zum Thema der neuen Führungsrollen in einem agiler werdenden Umfeld. Dass bei ihrer Ausgestaltung verhindert werden sollte, dass der disziplinarische Vorgesetzte eines Teams auch dessen fachliche oder methodische Leitung innehat, ist eine Einsicht, die sich immer mehr durchsetzt. Alles andere würde zwangsläufig zu einer (Teil-)Entmachtung des Product Owners oder Product Managers führen, da dieser dann nicht mehr der Einzige wäre, der seinem Team Ziele vorgibt.


Die sich zur Zeit etablierende Rolle des People Managers wird dieser Anforderung gerecht, indem sie in den meisten Fällen völlig aus dem operativen Geschäft herausgelöst wird. Das verhindert zwar Zielkonflikte, die Entkoppelung von der täglichen Arbeit macht es aber für viele People Manager sehr schwer zu erkennen, welche Mitarbeiter sich Versetzungen, Beförderungen oder Gehaltserhöhungen verdient haben und welche nicht (mehr dazu hier).


Manche Unternehmen versuchen daher einen dritten Weg zu gehen. In ihm wird die disziplinarische Führung nur in Teilzeit ausgeübt (zumindest auf den unteren Hierarchie-Ebenen), wodurch weiter ein unmittelbarer Bezug zur eigentlichen Arbeit gewahrt wird. Ausserdem bleibt ein Teil der fachlichen Führung erhalten, aber nicht in Bezug darauf was gemacht wird, sondern wie es gemacht wird (eine wichtige Unterscheidung).


In diesem Modell bleibt auf diese Weise die Entscheidung darüber welche Kundenprobleme gelöst werden oder welche Features gebaut werden ( die Product Ownership) ausschliesslich beim Product Owner oder Product Manager, die Grundlage auf der die die disziplinarische Führungsrolle über Versetzungen, Beförderungen oder Gehaltserhöhungen entscheidet ist dagegen die Qualität der Arbeit - idealerweise anhand transparenter und im voraus feststehender Kriterien.


In diesem Modell gibt es dann nochmal zwei verschiedene Arten der Ausgestaltung. Eine allgemein übliche Bezeichnung hat sich für sie noch nicht durchgesetzt, um sie hier beschreiben zu können möchte ich aber die Titel aus den vermutlich jeweils bekanntesten Anwendungsfällen benutzen: den Chapter Lead aus dem Spotify Model (ja, ich weiss) und den Group Lead (japanisch Hanchô / 班長) aus dem Toyota Production System.


Chapter Lead

Das entscheidende Erkennungsmerkmal des Chapter Leads ist seine Einordnung in eine Matrix-Organisation. Seine Einheit (das Chapter) arbeitet nicht selbst an einem Produkt oder Feature, sondern besteht aus gleichartigen Spezialisten (z.B. UX, QA oder Kundenservice) die über mehrere produktorientierte Teams verteilt sind. Dieser sehr ähnliche Arbeitsgegenstand aller Chapter-Mitglieder ermöglicht es dem Chapter Lead, gemeinsame Qualitätskriterien zu erstellen (auch teamübergreifend).


Group Lead

Im Umfeld der Group Lead-Rolle sind Ablauf- und Aufbauorganisation identisch, es gibt also keine Matrix-Organisation. Eine Gruppe verantwortet in Gänze ein (Teil-)Produkt, ein Feature oder eine Fertigungsstation, und umfasst alle dafür notwendigen beruflichen Spezialisten. Für den Group Lead bedeutet das, dass er einen besseren Einblick in die Zusammenarbeit der Spezialisten hat als der Chapter Lead, dafür aber schlechter die jeweiligen Einzelleistungen beurteilen kann.


Um es vereinfacht zusammenzufassen: sowohl Chapter Leads als auch Group Leads überlassen die Product Ownership dem Product Owner, bzw. Produktmanager und haben stattdessen die Qualität als ihr Führungsgebiet. Während das bei dem stark spezialisierten Chapter Lead vor allem die Qualität der Arbeitsvorgänge ist, ist es bei dem eher generalistischen Group Lead vor allem die Qualität des jeweiligen (Teil-)Produkts. Beide Ausprägungen haben Vor- und Nachteile, keine ist besser als die andere.


Zur Sicherheit noch ein zweites Mal zur Klarstellung: die beiden hier genutzten Begriffe sind nicht offiziell oder allgemein anerkannt, dass ich sie hier benutzt habe, hat nur den Zweck, zwei Rollen, für die es noch keinen feststehenden Namen gibt, beschreiben zu können. Im Einzelfall können die Benennungen ganz anders sein. Das ist auch unproblematisch, wichtiger als die Bezeichnung ist das Verständnis der dahinterstehenden Ausgestaltungen.


Das ist auch der finale Ratschlag, bzw. das Fazit dieses Artikels: wichtiger als die schönen englischen oder japanischen Namen sind die Gestaltungsparameter: wie kann eine disziplinarische Führungsrolle so gestaltet werden, dass sie die Product Ownership des Product Owner/Produktmanager nicht untergräbt, trotzdem in der Lage ist auf sachlicher Ebene über über Versetzungen, Beförderungen oder Gehaltserhöhungen zu entscheiden und einen für alle klar erkennbaren Verantwortungsbereich hat?


Am Ende muss es nicht zwangsläufig auf eine der beiden hier genannten Varianten herauslaufen, zumindest sind sie aber ein guter Ausgangspunkt für die Neu-Konzeption sinnvoll ausgestalteter Führungsrollen in einem agiler werdenden Umfeld. In vielen Fällen die ich gesehen habe, hätten sich Firmen damit grosse Missverständnisse und Schmerzen ersparen können.

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