Donnerstag, 15. April 2021

Selbstwirksamkeitserwartung und Kontrollüberzeugung

Bild: Pexels / Fauxels - Lizenz

"Die Gelegenheit beim Schopfe packen", Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott", "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied" - die deutsche Sprache ist voll von derartigen Sprichwörtern, die alle einen ähnlichen Inhalt haben: wer bei einem Problem oder einer Aufgabe anpackt statt zu zaudern wird fast immer die besseren Ergebnisse erzielen. Dass darin viel Wahrheit steckt dürfte auch ohne wissenschaftlichen Beweis offensichtlich sein, wer etwas tut bewirkt im Zweifel mehr als jemand der nichts tut. Es bleibt dann aber die Frage - wie kommt es dann, dass oft nichts getan wird?


Eine Wissenschaft die sich mit dieser Frage schon lange beschäftigt ist die Psychologie. Vor allem in den 60er und 70er Jahren sind hier verschiedene Erklärungsansätze entstanden, die versuchen die Gründe für die Aktivität oder Inaktivität von Menschen nachzuvollzieren. Um zwei davon soll es heute gehen, es sind Selbstwirksamkeitserwartung und Kontrollüberzeugung. Sie überschneiden sich in weiten Teilen, so dass es Sinn macht sie gemeinsam zu betrachten.


Die Selbstwirksamkeitserwartung (im englischen Original Self-Efficacy) wurde in den 70er Jahren vom kanadischen Psychologen Albert Bandura entwickelt. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei ihr um das Ausmass der Zuversicht mit dem man einer anstehenden Aufgabe oder einem auftretenden Problem entgegenblickt. Bei hoher Zuversicht ist man überzeugt, dass Aufgabe oder Problem erfolgreich bewältigt werden können, bei niedriger Zuversicht geht man eher davon aus, dass man scheitern wird.


Je nachdem wie hoch die Selbstwirksamkeitserwartung ist können die folgenden Aktionen sich stark unterscheiden. Ist die Erwartung hoch wird ohne grosses Zögern die Tat ergriffen, ist sie moderat erfolgt ein Abwarten und Abwägen, ist sie niedrig macht man entweder gar nichts (Resignation) oder sucht nach Wegen um Aufgabe, bzw. Problem zu umgehen, in die Zukunft zu verschieben oder delegieren zu können (Ausweichverhalten).


Die Kontrollüberzeugung (im englischen Original Locus of Control) geht auf den amerikanischen Psychologen Julian B. Rotter zurück, der den Begriff in den 60er Jahren einführte. Sie beschreibt in wiefern Probleme und Aufgaben überhaupt als selbst bewältigbar angesehen werden. Glaubt man daran selbst dazu in der Lage zu sein spricht man von einer internen Kontrollüberzeugung, glaubt man, dass nur jemand anders (oder mehrere andere) das können von einer externen Kontrollüberzeugung.


Von der Selbstwirksamkeit unterscheidet sich dieses Konzept folgendermassen: bei der Kontrollüberzeugung geht es darum ob man es überhaupt für möglich hält ohne externe Hilfe eine Veränderung herbeizuführen, bei der Selbstwirksamkeit steht im Mittelpunkt ob man es sich selbst zutraut eine theoretisch mögliche Veränderung auch tatsächlich umzusetzen. Beides sind subjektive Annahmen, die erste wird aber oft für objektiv gehalten.


Um diese Theorie mit der Praxis in Verbindung zu bringen: wenn eine Organisation es sich um Ziel gesetzt hat mit möglichst selbstorganisierten, sich selbst weiterentwickelnden und Intrapreneur-artig handelnden Teams Produkte zu entwickeln, dann kann das letztendlich nur dann gehen wenn Selbstwirksamkeitserwartung und interne Kontrollüberzeugung der Teammitglieder möglichst hoch sind. Sind sie das nicht werden sie zu oft auf externe Unterstützung warten statt selbst initiativ zu werden.


Aus dieser Erkenntnis können verschiedene Massnahmen abgeleitet werden um für die passende Zusammenstellung von Teams zu sorgen. Häufig aber meistens nicht zielführend sind Assessment Center, in denen die Teammitglieder auf die "richtige" Geisteshaltung überprüft werden. Durch kognitive Verzerrungen wie Observer-Expectancy Effects, Selection Biases oder Attribute Substitutions sind deren Ergebnisse kaum aussagekräftig und im Zweifel falsch.


Zielführender ist es sich die zugrundeliegenden psychologischen Mechanismen zu Nutze zu machen. Während niedrige Selbstwirksamkeitserwartung und externe Kontrollüberzeugung häufig durch Machtlosigkeits- oder Misserfolgs-Erfahrungen entstehen können häufige Erfolgserlebnisse das (positive) Gegenteil bewirken und zu hoher Selbstwirksamkeitserwartung und interner Kontrollüberzeugung führen.


An dieser Stelle kommen schliesslich Ansätze aus dem Lean-Agile-Bereich ins Spiel. Da diese durch Praktiken wie Pull Prinzip, regelmässige Refinements und kurze Planungszyklen vergleichsweise realistische und machbare Planungen hervorbringen können sie durch zahlreiche Erfolgserlebnisse eine Eigendynamik entwickeln die dafür sorgt, dass die für diese Art des Arbeitens notwendigen Selbst- und Systemwahrnehmungen von sich aus entstehen und verstärkt werden.

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