Montag, 4. Oktober 2021

Stacey Matrix (II)

Noch einmal ein paar Worte zur Stacey Matrix, jenem Analyse-Werkzeug des Organisationsforschers Ralph D. Stacey, mit dessen Hilfe meistens versucht wird Sachverhalte als einfach, kompliziert, komplex oder chaotisch einzuordnen. Wie an anderer Stelle geschrieben sind die meisten Anwender in einem Irrtum gefangen - was sie nutzen ist nicht die eigentliche Stacey Matrix sondern nur ihre vereinfachte Version, die Stacey-Zimmermann-Matrix. Das Original ist weitgehend unbekannt.


Der Grund für diese relative Unbekanntheit dürfte sein, dass Stacey's Orginalversion (zu finden u.a. bei Dave Snowden) wesentlich detaillierter und differenzierter ist und damit auch schwerer zu erklären und zu verstehen. Der grobe Aufbau ist zwar ähnlich, je nachdem wo in der Matrix man sich befindet kann die Analyse aber eine andere sein als in der Zimmermann-Ableitung. Selbst die Bezeichnung der Achsen ist eine etwas andere, um Stacey's Orginal zu verstehen sollte man daher nochmal neu beginnen.


Um auch direkt mit den Achsen zu anzufangen - statt "Was" und "Wie" wie in der vereinfachten Version heissen sie ursprünglich Agreement (gemeinsames Verständnis des Sachverhalts) und Certainty (Sicherheit darüber welche Handlungsoptionen gegeben sind). Beide Variablen sind in der unteren linken Ecke am höchsten, sinken aber mit zunehmendem Abstand zu diesem Punkt kontinuierlich ab, bis sie am Ende der jeweiligen Linien nicht mehr gegeben sind.


In der Anwendung folgt daraus, dass dort wo sich die Variablen mit hohen Werten überschneiden (links unten) eine technisch-rationale Entscheidungsfindung und technisch-rationale Kontrollmechanismen möglich sind. Die (nähere) Zukunft ist hier prognostizierbar und planbar, der Umsetzungsfortschritt ist messbar. Zu finden sind solche Situationen dort wo es standardisierte Abläufe und nur wenige Störungen und Änderungen gibt, etwa in der Serienfertigung oder in Call-Centern.


Komplizierter wird es dort wo die Variablen auseinandergehen. Eine hohe Sicherheit über die möglichen Handlungsoptionen bei geringerem Verständnis darüber welche richtig sind führt zu politischem Verhalten (Mitte links). Es wird nötig Bündnisse mit den Vertretern ähnlicher und kompatibler Standpunkte einzugehen, meistens mit der Folge, dass das weitere Vorgehen auf einem Kompromiss beruht, der schlimmstenfalls halbherzige oder unvollständige Umsetzungen nach sich zieht.


Umgekehrt führen eine geringere Sicherheit über die möglichen Handlungsoptionen bei hohem gemeinsamen Verständnis über über das richtige Ziel zu eher subjektiver Entscheidungsfindung (untere Mitte). Die Auswahl der nächsten Schritte beruht in solchen Kontexten auf Glaubenssätzen und Methodismus, überprüft wird eher die Methodentreue als die Sinnhaftigkeit. Schlimmstenfallskann so eine "Entsachlichung" und Emotionalisierung der Diskussionen stattfinden.


Jenseits dieser beiden nebeneinanderliegenden Sektoren liegt die Komplexitätszone, die sich von links oben nach rechts unten durch die Matrix zieht. Auch in ihr gebt es Unterschiede: geringe Übereinstimmung bei hoher Sicherheit verleitet zu Bauchentscheidungen und sprunghaftem Verhalten, hohe Sicherheit bei geringer Übereinstimmung ermöglicht kontrollierte Überprüf- und Lernprozesse, mit dem Ziel auf diesem Weg die beste Lösung zu finden.


Oben rechts befindet sich schliesslich die chaotische Zone, in der ein strukturiertes Vorgehen nicht mehr möglich ist. Selbst hier gibt es aber noch Unterschiede - ein Rest an Sicherheit über mögliche Handlungsoptionen bei gleichzeitiger völliger Uneinigkeit lässt Systeme zerfallen, ein Rest an Übereinstimmungen bei gleichzeitigem Fehlen von Handlungssicherheit ermöglicht zumindest eine letzte gemeinsame Kraftanstrengung, mit dem Ziel dem Chaos irgendwie zu entkommen.


Was bei dieser Betrachtung der ursprünglichen Stacey Matrix klar wird ist das Ausmass der Vereinfachung, das die Umwandlung in die Zimmermann-Variante mit sich gebracht hat. Weder sind im Original Einfach, Kompliziert und Komplex als einheitliche Blöcke zu finden, noch lassen sich methodische Ansätze grossflächig zuordnen. Die agilen Frameworks machen beispielsweise nur unten rechts Sinn, nicht im gesamten mittleren Bereich.


Damit soll nicht gesagt werden, dass die Zimmermann-Variante schlecht ist, aufgrund ihrer Einfachheit und Übersichtlichkeit eignet sie sich gut als Einstieg in eine Beschäftigung mit den Themen Kompliziertheit und Komplexität. Sobald diese Beschäftigung vertieft werden soll ist es aber sinnvoll dazu die Original-Matrix zu nehmen, so wie sie von Ralph D. Stacey erfunden wurde.

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