Dienstag, 3. Januar 2017

Truthiness

Bild: Flickr / Daniel Lobo - CC BY 2.0
Mein im letzten Monat geschriebener Artikel zu den Wasserfall-Populisten hat es geschafft auch in meinem realen Leben zu einem größeren Gesprächsthema zu werden. Vor allem an der Behauptung, dass in der Wirtschaft Entscheidungen auf der Basis von Populismus getroffen würden, haben einige meiner Bekannten Anstoss genommen. Gerade dort wo es um (viel) Geld geht wäre es doch genau umgekehrt, da würden nur die harten Fakten zählen: Zeit, Kosten, Ertrag. Wer da nicht mit überprüfbaren Argumenten kommen würde, der würde sich selbst diskreditieren. Nun ja, es wäre schön wenn es so wäre. Um zu erklären warum das nicht so ist möchte ich einmal mehr einen Begriff aus der Politik einführen.

Passend zur Wahl von "postfaktisch" zum Wort des Jahres 2016 hat ein weiteres Wort ein rundes Jubiläum gefeiert: 2006 war "Truthiness" in Amerika das Wort des Jahres, ein Begriff mit einem sehr ähnlichen Inhalt. Laut Definition bedeutet er:
Truth coming from the gut, not books; preferring to believe what you wish to believe, rather than what is known to be true.
So gesehen die Grundlage auf der die Postfaktizität beruht - da sich eine Aussage gut anfühlt wird sie als wahr betrachtet, unabhängig davon ob sie sich durch Fakten belegen lässt oder nicht. Nochmal ein Vergleich mit der Politik: was in den letzten zehn Jahren zu beobachten war - sowohl von extremen Parteien als auch vom politischen Mainstream sind Truthiness-Aussagen benutzt worden um Wähler zu gewinnen. "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg", "Mehr Überwachung führt zu mehr Sicherheit", "Umverteilung von Einkommen führt zu sozialer Gerechtigkeit", etc. Gegen diese Narrative zu argumentieren ist schwierig, da viele Menschen einen verhängnisvollen Fehlschluss begehen: für sie fühlen sich diese "Wahrhaftigkeiten" so selbstverständlich richtig an, dass es gar nicht nötig ist sie zu validieren. Umgekehrt können alle widersprechenden Zahlen und Aussagen nur falsch sein, da es gar nicht möglich ist etwas zu widerlegen was so offensichtlich richtig ist.

Zurück in die Wirtschaft. Auch hier kann man immer wieder (Projekt)Manager antreffen, die mit größter Selbstverständlichkeit Truthiness-Aussagen von sich geben: "Bei großen und komplexen Aufgaben muss man mehr und detaillierter planen, damit alles funktioniert", "Wenn alle von Anfang an ordentliche Arbeit machen gibt es keine Bugs", "Eine Methode die seit 20 Jahren eingesetzt wird kann nicht auf einmal ungeeignet sein" und dergleichen mehr. Keine einzige dieser Aussagen würde einer empirischen Validierung standhalten, aber ungeachtet dessen klingen sie zunächst einmal so naheliegend, dass sie von vielen Menschen einfach so hingenommen werden. Und weil sie derartig gut klingen wird auch hier zu oft darauf verzichtet, sie mit Zahlen belegen zu lassen.

Was kann man an dieser Stelle tun? Im Grunde nur eines: die Zahlen trotzdem liefern. In den meisten Fällen ist das ohne großen Aufwand möglich, mitunter reicht sogar nur eine einzige Frage ("Wenn Ihr sagt, dass Detailplanung der beste Weg ist - wie viele Projekte habt Ihr denn damit in time und in budget beenden können?"). Manchmal führt das relativ schnell dazu, dass die scheinbaren Wahrheiten sich als falsch herausstellen, manchmal kann es auch Wochen oder Monate dauern. Wenn der Punkt des Erkenntnisgewinns dann erreicht ist bleibt "nur noch" eines zu tun: sich von den Truthiness-Wahrheiten zu verabschieden, ohne dass ihre Vertreter einen Gesichtsverlust erleiden. Nochmal ein Thema für sich.

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