Montag, 9. April 2018

Start where you are

Bild: Flickr / Chris Hunkeler - CC BY-SA 2.0
Es ist eine der Grundregeln von Kanban: anders als bei Scrum werden zu Beginn keine neuen Rollen und Regeln eingeführt (zumindest meistens nicht), stattdessen wird lediglich der bisherige Arbeitsablauf visualisiert. Sobald das passiert ist wird er auf Engstellen, Überkapazitäten und Probleme untersucht und dann erst nach und nach angepasst. Das scheint ein einfacher Einstieg zu sein, in Wahrheit ist er es oft aber nicht. Viele Organisationen haben grösste Probleme damit, ihren Ist-Zustand festzuhalten.

Ein Grund dafür ist, dass an vielen Stellen der offizielle Arbeitsprozess und der tatsächliche Arbeitsprozess voneinander abweichen. Im Fall eines Managers den ich vor kurzem kennenlernen durfte war der offizielle Prozess To Do 🡒 Analysis 🡒 In Progress 🡒 Done, in der Realität fand aber To Do 🡒 Analysis 🡒 In Progress 🡒 Nachträgliche Änderung der Anforderungen 🡒 Überarbeitung 🡒 Done statt. In dem Ministerium in dem ich vor langer Zeit gearbeitet habe war der offizielle Weg Entscheidungsbedarf 🡒 Entscheidungsvorlage 🡒 Entscheidung, was tatsächlich immer wieder stattfand war allerdings Entscheidungsbedarf 🡒 Entscheidungsvorlage 🡒 Verschleppen der Entscheidung 🡒 Veraltung der Vorlage 🡒 Überarbeitung der Vorlage 🡒 Entscheidung. Das Abbilden des tatsächlichen Prozesses deckt in solchen Fällen Ineffizienz und Dysfunktionalität auf und wird daher häufig aus politischen oder persönlichen Gründen bekämpft.

Was immerhin noch der Vorteil in solchen Konstellationen ist, ist die Tatsache, dass der tatsächliche Prozess zwar nicht angesprochen wird, aber jedem bekannt ist. Noch schwieriger wird es wenn Teile der Organisation glauben, dass der offizielle Prozess funktionieren würde und der tatsächliche Prozess weitgehend unbekannt ist. Ein regelmässig in diesem Zusammenhang anzutreffendes Phänomen ist die brauchbare Illegalität: Der vorgegebene Ablauf ist in sich widerspüchlich oder unrealistisch, was die Mitarbeiter dem Management aber (aus welchem Grund auch immer) nicht sagen, bzw. sagen dürfen. Um trotzdem arbeitsfähig zu sein werden unter der Hand informelle Prozesse angelegt, während die offiziellen nur noch als "Theaterstück" aufgeführt werden um gegenüber den oberen Ebenen den Schein zu wahren. Auch das ist natürlich bei einer Offenlegung hochproblematisch.

Warum auch immer sich Anspruch und Realität auseinanderentwickelt haben - das Aufdecken dieser Parallelität ist für die Beteiligten ernüchternd und schmerzvoll. Zu Beginn einer Kanban-Einführung besteht daher die Gefahr, dass es in solchen Fällen zu Auseinandersetzungen oder Verdrängungen kommt. Das zu verhindern und in konstruktive Bahnen zu lenken ist die eigentliche Herausforderung dieser Phase, die auf den ersten Blick so unproblematisch wirkt.

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