Überstunden
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Bild: Unsplash / Jonas Leupe - Lizenz |
Zu den unschönsten Momenten im Leben eines Angestellten (oder eines von einem Auftraggeber abhängigen Freiberuflers) gehört es, wenn er direkt oder indirekt zu Überstunden aufgefordert wird, schlimmstenfalls verbunden mit der Drohung, bei der Nicht-Erreichung eines in normaler Arbeitszeit nicht zu erreichenden Ziels gefeuert oder nicht weiterbeauftragt zu werden. Als Betroffener ist man maximal genervt und frustriert.
Trotzdem kommt es immer wieder dazu, die aktuelle Deadline für die an Twitters Bezahlfunktion arbeitenden Teams dürfte z.B. jetzt schon ein Klassiker unter den derartigen Fällen sein. Je nachdem wie abhängig vom Job oder wie beeinflussbar die zu Überstunden aufgeforderten Menschen sind kann es in solchen Konstellationen nicht nur zu einem späten Feierabend kommen sondern sogar zum Extrem: zum Übernachten am Arbeitsplatz, um möglichst viel Zeit dort verbringen zu können.
When your team is pushing round the clock to make deadlines sometimes you #SleepWhereYouWork https://t.co/UBGKYPilbD
— Esther Crawford ✨ (@esthercrawford) November 2, 2022
Was manchmal in solchen Fällen diskutiert wird - ist das nicht ein notwendiger Teil einer agilen Arbeitsweise? Muss man nicht immer wieder Überstunden schieben, wenn es notwendig ist (oder versprochen wurde) regelmässig Ergebnisse abzuliefern? Die Antwort darauf kann nur ein sehr verhaltenes "kommt drauf an" sein, denn selbst wenn es Fälle geben mag in denen das so ist - in den meisten erreicht man eher den gegenteiligen Effekt.
Um mit dem Grundsätzlichen zu beginnen: Agil zu arbeiten bedeutet, dass man schnell und ergebnisorientiert auf Veränderungen reagiert (responding to change over following a plan). Das bedeutet aber gerade nicht, dass Liefertermine und Lieferumfänge auch bei sich unerwartet ändernden Rahmenbedingungen eingehalten werden müssen, im Gegenteil. Da diese Termine und Umfänge Teil des initialen Plans sind wäre ein Beharren auf ihnen sogar hochgradig un-agil.
Natürlich kann es Grenzfälle geben. Die Leitmesse zu der ein Produkt fertig sein muss, wenn es dieses Jahr noch auf den Markt soll, oder den Stichtag an dem eine gesetzliche Regulierung in Kraft tritt, der eine IT-gestützte Dienstleistung entsprechen muss. Wichtig ist dann aber, dass sie nur in Ausnahmen auftreten und dass sie tatsächlich derartig harte Ursachen haben. In den meisten Fällen trifft das aber nicht zu, da ist die zentrale Motivation, dass Planänderungen einfach nicht gewünscht sind.
Diese Änderungsunwilligkeit wird dann häufig (schein-)rationalisiert, und das auch noch mit Argumenten die scheinbar zur Idee der Agilität passen: die Lead Time oder Time to Market soll kurz sein, die Verzögerungskosten (Cost of Delay) gering, das Kundenfeedback möglichst früh verfügbar. All das sind auch gute Ziele, was in einer solchen Argumentation häufig übersehen wird, ist aber der Preis der zu zahlen ist, wenn man sie mit Überstunden zu erreichen versucht.
Wie vermutlich jeder aus eigener Erfahrung bestätigen kann neigen überarbeitete, übermüdete und gestresste Menschen dazu mehr Fehler zu machen als solche die ausgeschlafen und ausgeglichen sind. Und diese Fehler führen zwangsläufig zu einem von zwei Effekten: entweder muss alles vor dem Release wieder in Ordnung gebracht werden (wodurch Zusatzaufwände entstehen, die alles verlangsamen) oder fehlerhafte Produkte gehen live, mit Fehlfunktionen und Hotfixes auf Produktion als Folge.
Vor allem dort wo regelmässig Überstunden gemacht werden häufen sich derartige Mehraufwände, und das oft in einem derartigen Ausmass, dass der scheinbare Zeitgewinn durch Überstunden ausgeglichen oder sogar in sein Gegenteil verkehrt wird. Zieht man ausserdem in Betracht, dass regelmässige Überstunden fast immer zu Abwanderung der Mitarbeiter in andere Unternehmen führen (verbunden mit Zusatzkosten für Recruiting und Onboarding) verschwindet der Business Case fast völlig.
Jedem Entscheidungsträger kann man daher nur raten es sich dreimal zu überlegen was er tut bevor er zu Überstunden aufruft. So verlockend die Aussicht auch sein mag damit irgendetwas kurzfristig zu erreichen - langfristig werden diejenigen Unternehmen erfolgreicher sein, die ihren Mitarbeitern ein ruhiges, kontinuierliches und steressfreies Arbeiten ermöglichen.
We built Netflix streaming from scratch without ever spending a night in the office. Any employer that tells you that you need to do otherwise is toxic and you deserve better. https://t.co/fXpNOP04lG
— Dave Temkin (@dtemkin) November 7, 2022
Look, I’m no Nat Friedman, but I’ve been doing software development for over 20 years and know what it takes to build “great new things” and let me tell you something.
— 𝙽 𝙸 𝙺 𝙱 (@nbougalis) November 6, 2022
Sleeping at work is not something that should be applauded or emulated.
🧵 https://t.co/o8zvNZ8ITA
No. This is false. I helped to create two different billion-user projects at Apple: WebKit and iPhone. I was on these teams from the earliest stages and I never once came close to sleeping at the office. It’s not an essential part of doing great work. https://t.co/4jD1IE4pDE
— Ken Kocienda (@kocienda) November 6, 2022
I helped build one of the largest e-commerce sites in the world and I've never worked a Saturday. He'll, I'm 4 weeks in and this is the first time I've travelled 2 weeks in a row.
— Steve Workman (@steveworkman) November 7, 2022
You do not need to do this https://t.co/O7y1ppaXKB