Mittwoch, 24. Februar 2016

Group Think

Bild: Wikimedia Commons/Hubert Link - CC BY-SA 3.0 DE
Ein weiterer Throwback zurück ins Psychologiestudium - heute durfte ich eine längere Diskussion zum Thema Groupthink führen, also zu dem Phänomen, dass eine Gruppe von an sich vernünftigen Personen aufgrund gruppendynamischer Prozesse schlechte oder realitätsferne Entscheidungen trifft. Da das auch in dem einen oder anderen meiner vergangenen Projekte aufgetreten ist ein paar Überlegungen dazu. Zunächst das Grundlegende - was ist eigentlich Groupthink?

Als Begriff geprägt vom Psychologen Irving Janis verbirgt sich dahinter das Phänomen, dass negative Effekte auftreten können sobald die Mitglieder einer Gruppe einander zu ähnlich in Alter, Herkunft, Überzeugungen, etc. sind. Zustande kommt es dadurch, dass die Gruppenmitglieder sich (bewusst oder unbewusst) in ihren gleichen Eigenschaften gegenseitig bestärken, wodurch gleichzeitig auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu neuen Ideen und Impulsen kommt zurückgeht.

Die Erscheinungsformen:
  • überzogener Optimismus in Bezug auf die eigene Offenheit
  • Überzeugung immer im Recht zu sein (sachlich oder moralisch)
  • Stereotypisierung von Außenstehenden oder Konkurrenten
  • Beschönigung schlechter Entscheidungen und Ergebnisse
  • extremer Konformitäts-Druck innerhalb der Gruppe
  • Druck, die Gruppe vor abweichenden Ansichten zu schützen 
  • Tendenz, den Informationsfluss nach 'draußen' zu zensieren 
  • innerer und äußerer Druck zur einstimmigen Entscheidungsfindung

Die begünstigenden Faktoren:
  • fehlende Erfahrung mit unterschiedlichen Kontexten
  • (zu viel) Routine
  • Gruppenkohäsion (Ähnlichkeit und Zusammenhalt in der Gruppe)
  • Abschottung nach Außen (oder von Außen kommende Ablehnung)
  • Neigungen zu Subjektivität/fehlende Objektivität
  • schlechte oder fehlende Feedback- oder Lernprozesse
  • Erfolgsdruck und Angst vor Fehlern
  • Stress

Die Folgen:
  • nur wenige, ausgewählte Alternativen werden betrachtet
  • die Meinung von Experten oder Außenstehenden wird ignoriert
  • von der gewünschten Welt abweichende Informationen werden ignoriert
  • es findet kein aktives Bemühen um zusätzliche Informationen statt
  • die Gruppenmitglieder bestätigen sich nur gegenseitig ihre Theorien 
  • Alternative Handlungsoptionen werden nicht (oder nur pro forma) erstellt
  • → Vorhaben scheitern oder halten die Rahmenbedingungen (Zeit, Kosten, Qualität) nicht ein

Aufbauend darauf - in welchen spezifischen Erscheinungsformen kann Groupthink in (agilen) Software-Projekten auftreten? Ich glaube, in drei verschiedenen Gruppen:

Groupthink in Entwicklungsteams
Bedeutet vor allem, dass eine dogmatische Festlegung auf bestimmte Programmiersprachen oder Architekturmodelle stattfindet. Ebenfalls häufig sind eine Ablehnung von Regeln, Vorgehensweisen, Qualitätskriterien, Coaching und Management-Entscheidungen sowie "innere Emigration". Ein verbreitetes Ergebnis sind vor dem Management versteckte Uboot-Projekte.

Groupthink im (Produkt-)Management
Eine typische Erscheinungsform sind irrationale, im "Hinterzimmer" entstandene Entscheidungen, an denen die Fachleute bewusst nicht beteiligt werden und die auch nicht mehr ernsthaft zur Diskussion gestellt werden. Der dadurch meistens ausgelöste Aufschrei aller Betroffenen wird als Infragestellen der eigenen Autorität empfunden und kann zu Trotz und Einigelung führen und den Effekt sogar noch verstärken. Ebenfalls häufig ist der Versuch, das gewünschte Ergebnis zu "erzwingen". Ein verbreitetes Ergebnis ist Geldverbrennung in großem Ausmaß.

Groupthink bei Scrum Mastern/agilen Coaches/etc.
Tritt meistens in Form eines "Troubardix-Syndroms" auf, d.h. man fühlt sich als unverstandener, letzter Hort der Vernunft. Ähnlich wie beim Management werden abweichende Meinungen als Infragestellen der eigenen Autorität empfunden, allerdings mit anderer Konsequenz: die Betroffenen neigen in starkem Ausmaß zu Ironie, Sarkasmus und Zynismus, womit andere Personen vor den Kopf gestoßen werden. Ein verbreitetes Ergebnis ist eine beschädigte Reputation agiler Vorgehensweisen und Rollen.

Gegenmaßnahmen
Sind nur sehr schwer durchzuführen, da sie von den oben beschriebenen Einigelungs- und Abwehrreflexen behindert werden. Sehr hilfreich sind frühzeitig festgelegte verbindliche Definitionen (v. A. Definition of Ready und Definition of Done) die bei konsequenter Befolgung viele Fehlentwicklungen eindämmen können. Auch das regelmäßige Feedback von Kunden und Stakeholdern kann hilfreich sein, genau wie das Durchführen moderierter Retrospektiven. Einen allgemeingültigen Lösungsansatz dafür gibt es nicht, da er immer eine starke Anpassung auf die jeweilige Situation haben sollte. Praktisch nicht mehr korrigierbar ist die Fehlentwicklung wenn nicht nur Gegenargumente sondern auch Moderation und Vermittlung abgelehnt werden. In diesem Fall bleiben eigentlich nur noch drei Möglichkeiten: die Gruppe trennen, gehen oder Popcorn holen.

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