Dienstag, 5. Juli 2016

Wer nimmt am Estimation-Poker teil?


Zugegeben, im Normalfall ist das keine schwere Antwort. Der Product Owner stellt die Story vor, das Entwicklungsteam hält die Karten hoch, der Scrum Master steht daneben und macht ein interessiertes Gesicht. So einfach ist das. Es kann allerdings auch anders kommen, nämlich dann wenn im Team sehr unterschiedliche Berufe vertreten sind. Der Scrum Guide gibt es klar vor: "Development Teams are cross-functional, with all of the skills as a team necessary to create a product Increment". Je nach Produkt können also auch Designer, Business Analysten, manuelle Tester oder sonstige IT-ferne Gruppen zum Team gehören. Sollten die an den Schätzungen teilnehmen?

Von verschiedenen Scrum Mastern oder Agile Coaches habe ich gehört, dass auch solche Personen mit der Zeit ein Gespür für die Komplexität von Anforderungen bekommen könnten. Das mag in diesen Fällen auch so gewesen sein, allerdings bezweifele ich, dass man daraus eine Regel ableiten kann. Ich durfte bereits mehrmals beobachten wie sich derartig gemischte Teams über einen längeren Zeitraum entwickeln, und selbst nach ein oder zwei Jahren war von einem "Gespür" nichts zu sehen. Es war so als würde man nur die Kühlerhaube kennen und würde versuchen auf dieser Grundlage über den Motor zu reden. Für die beteiligten Entwickler war es bestenfalls amüsant, für die anderen im schlimmsten Fall demütigend. Hilfreich war es für niemanden.

Die verborgene Tragik in derartigen Anekdoten: nirgendwo in den Scrum-Regeln steht geschrieben, dass alle Teammitglieder an jeder Schätzung teilnehmen müssen. Es reicht völlig aus wenn Estimations nur von denjenigen vorgenommen werden die dazu wirklich in der Lage sind, im Fall von Software-Entwicklung also von den beteiligten Entwicklern. Dabei ist es natürlich so, dass die anderen Mitglieder in den dazugehörenden Diskussionen darauf hinweisen können, dass der Dokumentations- oder Testaufwand mit berücksichtigt werden sollten. Das kann wertvoll sein. Aber: wenn es z.B. darum geht den Kundendaten-Bereich aus einer monolithischen Anwendung in einen Microservice zu überführen - welcher Nicht-Entwickler soll das beurteilen können? Keiner.

Natürlich mag es immer Ausnahmen geben, grundsätzlich kann man aber sagen: so schade es aus methodischer Sicht auch ist, es wird immer wieder Fälle geben in denen nicht alle Teammitglieder an den Aufwandsschätzungen teilnehmen können (und manchmal kann das sogar umgekehrt sein, etwa wenn die Entwickler nicht beurteilen können wie aufwändig eine Marktstudie ist). Genau dafür gibt es im Estimation Poker auch die Karte mit dem Fragezeichen.

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