Montag, 12. September 2016

Abstimmung mit den Füssen

Bild: Unsplash / David Lee - Lizenz
Über die Jahre habe ich einige Scrum-Projekte miterlebt: große, kleine, langlebige, kurzfristige, solche an denen ich beteiligt war, solche die ich auditieren durfte und solche die ich von aussen betrachten konnte. In weit über der Hälfte von ihnen ist das Vorgehen irgendwann nicht mehr agil gewesen. Nach einer kurzen Euphoriephase wurde den Verantwortlichen der Kontrollverlust unheimlich und das Management artete immer stärker in Detailsteuerung und Detailkontrolle aus. Die vorhersehbaren Folgen - die Auslieferungszyklen wurden länger, Flaschenhälse und Silos entstanden, die Kultur wandelte sich kontinuierlich in Richtung Blaming und Cover your Ass. R.I.P. Agilität.

Sollte mir das Sorgen machen? Ja das tut es. Es zeigt, dass agile Transitionen schwer sind und häufig scheitern. Es zeigt, dass das Management häufig noch nicht bereit ist für einen Rollen- und Verhaltenswechsel. Es zeigt, dass Cargo Cult und Dark Scrum verbreitet sind und sich weiter ausbreiten. Eine ganz bestimmte Sorge habe ich allerdings nicht: die Sorge, dass Scrum grundsätzlich scheitern könnte. Selbst wenn die Mehrheit der Führungskräfte diese Methode bewusst oder unbewusst untergräbt (und ich fürchte, dass das so ist) - letztendlich sitzen sie am kürzeren Hebel. Und der Grund dafür ist der Fachkräftemangel.

Selbst wenn Scrum eigentlich ein Framework ist, dass im Wesentlichen auf Unternehmensinteressen wie kurzen Entwicklungszyklen, wenig Verschwendung und hoher Produktqualität beruht - für die meisten Entwickler ist es etwas ganz anderes. Zu ihrem Glück ist es so, dass der beste Weg zur Erreichung der gerade genannten Ziele die Selbstorganisation ist. Viel Selbstbestimmung, wenig Befehle, keine unrealistischen Deadlines und konstruktive Zusammenarbeit gehören einfach dazu wenn man Mitglied in einem Scrum-Team ist. Wer das einmal erlebt hat will in der Regel nie mehr anders arbeiten, und wenn man das alles im aktuellen Job nicht mehr haben kann, dann wartet bereits der nächste.

Bedingt durch den IT-Fachkräftemangel sind die Unternehmen gezwungen ihren potentiellen Mitarbeitern etwas zu bieten, und Scrum ist etwas womit man sich von anderen Unternehmen abheben kann. Wer den Wettbewerb um die besten Köpfe nicht verlieren will kommt gar nicht darum herum. Auf der anderen Seite vertreibt jeder Anfall von Command and Control die Mitarbeiter zunächst in die innere und dann in die äussere Emigration. Ich habe miterlebt, dass ein Unternehmen nach der Abschaffung von Scrum über die Hälfte seiner IT-Abteilung verloren hat. Und das ist kein Einzelfall.

In vielen Unternehmen ist diese Realität gedanklich noch nicht angekommen. Hier wird noch geglaubt, man könne agile Methoden per Dekret für gescheitert erklären. Ich fürchte, dass hier ein Lernen durch Schmerzen stattfinden muss bevor sich etwas ändert. Andererseits - auch das ist ja Inspect & Adapt, oder?

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