Freitag, 2. Oktober 2015

Die bösartige und die gutartige unsichtbare Hand des Projektmanagements

Bild: Michelangelo Buonarroti - Gemeinfrei

Ein Hoch auf die Wissenschaft! In diesem Fall auf drei Herren namens Albert O. Hirschmann, Bent Flyvbjerg und Cass R. Sunstein. Obwohl zu unterschiedlichen Zeiten tätig haben die drei sich um die Erforschung des Projektmanagements verdient gemacht: Hirschmann legte die theoretische Basis, Flyvbjerg und Sunstein fügten die empirische Validierung hinzu.

Den Anfang machte Hirschmann, der in den 60er Jahren das Prinzip der unsichtbaren Hand formulierte. In diesem ging er davon aus, dass große Projekte und Vorhaben von wiederkehrenden Mustern geprägt sind, deren sich die handelnden Personen aber nicht bewusst sind. Durch diese Muster werden die Projekte in immer ähnlicher Weise geleitet, praktisch durch eine unsichtbare Hand. Diese unsichtbare Hand existiert wiederum in zwei Ausformungen - einer bösartigen (malevolent hiding Hand) und einer gutartigen (benevolent hiding Hand). Der ersten, bösartigen Ausformung liegen wiederum zwei Phänomene zugrunde, die gewissermassen die Wurzel des Übels bilden: die Scheinbare Imitation (Pseudo-Imitation) und der Scheinbar umfassende Plan (Pseudo-Comprehensive Program).

Bei der Scheinbaren Imitation handelt es sich zunächst um die Fehlannahme, neue Projekte seien nicht einzigartig sondern im Grunde nur Wiederholungen vergangener Vorhaben. Man müsste also "nur" das Gleiche machen wie immer und alles würde gutgehen. Dass das spätestens ab einem gewissen Komplexitätsgrad nicht mehr funktioniert dürfte jedem klar sein der bereits in größeren Projekten gearbeitet hat. Irgendwann wird offensichtlich, dass das vom letzten Projekt "kopierte" Vorgehen nicht ohne Anpassungen anwendbar ist - und das zweite Phänomen tritt auf: der Scheinbar umfassende Plan. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass es möglich ist alle Fehlerquellen und Störungen zu erkennen und auf einmal zu beseitigen, um von da an bis zum Schluß ohne weitere Planänderungen weiterarbeiten zu können. Auch das wird natürlich durch die Realität widerlegt, denn Unvorhersehbares passiert immer. Im Regelfall folgt darauf ein zweiter scheinbar umfassender Plan, auf den eine weitere Störung, und so weiter. Im Endeffekt steigen Dauer und Kosten durch die ständige Fehlplanung ins Unermessliche.

In Hirschmanns Vorstellung führt diese Führung durch die unsichtbare bösartige Hand aber keineswegs immer zum Schlechteren, den eine zweite wirkt ihr entgegen: die der unsichtbaren gutartigen Hand. Dort wo Pläne fehlschlagen tun sich nämlich Lücken auf, in denen sich die Kreativität aller Beteiligten entfalten kann. Getrieben von der Erkenntnis, dass das bisherige Vorgehen nicht funktioniert wird Neues ausprobiert, Neues erfunden und Altes verworfen. Am Ende steht möglicherweise eine neue Methode die so viel besser ist, dass das Projekt schneller und kostengünstiger fertiggestellt werden kann als ursprünglich geplant. In diesem Zusammenhang kann es sogar von Vorteil sein, dass zu Beginn Risiken ignoriert werden - hätte man sie gekannt, die (noch unentdeckten) Lösungswege aber nicht, wäre das Projekt gar nicht erst begonnen worden.

So viel zu Hirschmann, jetzt zu Flyvbjerg und Sunstein. Das Ziel dieser beiden war die Beantwortung der Frage was denn nun häufiger vorkommt - die bösartige oder die gutartige unsichtbare Hand des Projektmanagements. Zu diesem Zweck wurden über 2000 Großprojekte untersucht, die zwischen 1927 und 2013 in über 100 Ländern auf 6 Kontinenten stattfanden (zur Methodik empfehle ich das Abstract der beiden, der Link ist weiter unten). Die deprimierende Erkenntnis: in 78% der Fälle wurde das Projekt von einer bösartigen Hand geführt, nur in 22% von einer gutartigen. In mehr als drei Viertel der Fälle konnte die freigesetzte Kreativität die Fehlentwicklung durch unrealistische Planungen also nicht kompensieren.

Der Erkenntnisgewinn: den Realitätsgehalt langfristiger Planungen von Anfang an kritisch zu hinterfragen und sie früh und regelmässig anzupassen macht mehr Sinn als darauf zu hoffen, dass ein wundersamer Kreativitätsschub alles retten wird. Keine wirklich bahnbrechende Erkenntnis, aber ab jetzt auch wissenschaftlich fundiert.

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Bent Flyvbjerg und Cass R. Sunstein

The Principle of the Malevolent Hiding Hand;
or, the Planning Fallacy Writ Large

Oxford/Harvard, September 2015

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