Donnerstag, 10. November 2016

Change Fatigue

Bild: Wikimedia Commons/Arthur Goss - Public Domain
Zu den größten Hindernissen die im Change Management zu überwinden sind, gehört die kaum ins Deutsche übersetzbare Change Fatigue. Hinter ihr verbirgt sich ein Zustand der Ermüdung, Erschöpfung, Desillusion und Ablehnung gegenüber jeglichen Änderungs-, oder Verbesserungsversuchen, meistens verbunden mit Aussagen wie "Bringt doch alles nichts" oder "Haben wir schon versucht, hat nichts gebracht." Wenn man diese Change Fatigue antrifft, kann man zum Einen sicher sein, dass noch viel Arbeit vor einem liegt, zum Anderen weiß man aber auch ziemlich sicher, dass hier in der Vergangenheit einiges schiefgelaufen ist. Diese Einstellung ist nämlich so gut wie immer das Ergebnis langfristiger Fehlentwicklungen.

Die häufigste Ursache sind in relativ kurzen Abständen vorkommende Strategie- oder Methodenwechsel. Wenn etwa in den letzten fünfzehn Jahren nacheinander Lean Management, Six Sigma, PMP, Kanban und Projektbasierte Matrix-Organisation eingeführt wurden, kann man sicher sein, dass z.B. eine Scrum-Einführung für die Mitarbeiter nur wie die nächste Sau erscheint, die durch das Dorf getrieben wird. Möglicherweise ist die neu einzuführende Methode in der jüngeren Vergangenheit auch schon eingeführt und wieder durch eine andere ersetzt worden, wodurch sie bereits als "verbrannt" gilt.

Selbst wenn dieser ständige Methodenwechsel an sich schon kontraproduktiv und ermüdend ist - eine Steigerung ist möglich. Dann nämlich, wenn er jedes mal mit Erwartungen und künstlich erzeugten Emotionen überladen wird. Gunther Dueck hat es in der Überschrift eines seiner Artikel auf den Punkt gebracht: Grundlose Begeisterung ist Pflicht. Nicht nur der häufig überzogene Pathos der Kickoff-Veranstaltungen ist dabei ein Problem, sondern vor allem die dadurch erzeugte Fallhöhe. Je euphorischer die Ankündigung, dass diesesmal wirklich alles besser wird, desto größer die darauf folgende Enttäuschung, wenn alles beim Alten bleibt.

Noch schlimmer ist es, wenn die Methoden nicht nur bereits "durch das Dorf getrieben" sondern ausserdem missbraucht worden sind, um die Angestellten zu gängeln. Scrum bietet durch seine Transparenz die Möglichkeit zu Micromanagement und Blaming, Lean Startup kann in wahllosen Aktionismus ausarten und Kanban in Akkordarbeit. Wer derartige Erfahrungen bereits hinter sich hat, wird zurecht misstrauisch sein, wenn die Methodenkiste ein weiteres mal aufgemacht wird.

Ich rate in solchen Fällen zu einem mehrstufigen Vorgehen. Als erster Schritt sollten die gescheiterten Methodeneinführungen der Vergangenheit analysiert und die dabei gemachten Fehler festgehalten werden. Das ist für die Beteiligten ein schmerzhafter und unangenehmer Prozess, allerdings meistens der einzige Weg um den Mitarbeitern zu zeigen, dass man aus der Vergangenheit gelernt hat. Aufbauend darauf kann man versichern (und regelmässig überprüfen), dass sich diese Fehler nicht wiederholen.

Der darauf aufbauende zweite Schritt besteht aus dem Verzicht auf eine pompöse Einführungsveranstaltung zugunsten vieler kleiner Schritte. Wer in kurzen Abständen erreichbare Verbesserungen ankündigt und transparent macht ob und wann sie erreicht wurden, erzeugt damit mehr Vertrauen als mit einer weiteren Tschakka!-Veranstaltung. Das heisst nicht, dass es keine langfristigen Visionen geben sollte, es bedeutet aber, dass nicht mehr behauptet wird sie in kurzer Zeit erreichen zu können, wenn man sich denn nur anstrengt.

Als dritter Schritt sollte regelmässig (z.B. monatlich) das Feedback der betroffenen Mitarbeiter eingeholt werden. Haben sie das Gefühl, dass sich die Lage tatsächlich verbessert? Wie zufrieden sind sie mit ihrer Situation? Haben sie das Gefühl, ernstgenommen und mitgenommen zu werden? Im Normalfall ergibt sich aus diesem Feedback, dass die Neuerungen auf den unteren Ebenen zu Unsicherheit, Mehrarbeit und gegebenenfalls sogar Verschlechterungen führen, also dem Gegenteil dessen was eigentlich erreicht werden sollte.

Der vierte Schritt muss jetzt darin bestehen, den ersten Reflexen zu wiederstehen. Diese sind entweder ein frustriertes Zurückrollen aller Veränderungen ("hat ja nichts gebracht"), oder ein weitgehendes Ignorieren der Mitarbeiter-Stimmen ("weil die undankbar sind und ihnen nicht klar ist, dass man doch alles nur zu ihrem Besten tut"). Stattdessen sollte mit den vier Schritten von vorne begonnen werden: Fehleranalyse, kleine Verbesserungsmassnahmen, Feedback einholen und Vorgehen anpassen. Das bedeutet zwar kurzfristige Mehrarbeit, ist aber die beste Möglichkeit um Vertrauen aufzubauen und dem Change Fatigue-Phänomen zu entkommen.

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