Montag, 19. April 2021

Die Autonomie-Falle

Bild: Flickr / Royalty Free - CC BY 2.0

In der Theorie ist es ganz einfach: das Management erkennt, dass es für Flaschenhälse und Stille Post-Effekte sorgt wenn es alles zentral entscheiden will, also delegiert es Kompetenzen auf die niedrigeren Hierarchieebenen. Dort können die Mitarbeiter jetzt selbst Entscheidungen treffen ohne für alles nach Erlaubnis zu fragen und auf die Genehmigung warten zu müssen. Beschwingt wird in die neue Arbeitswelt gestartet - und zu oft ist eine Bruchlandung die Folge.


Dass es häufig zu diesen Bruchlandungen kommt hat Gründe. Wer in seiner Karriere noch keine wichtigeren Projekt- oder Produktmanagement-Entscheidungen treffen musste wird häufig nicht das Wissen über alle dazugehörigen Aspekte haben und darum wichtige vergessen und unwichtigen zu viel Aufmerksamkeit geben. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Claus W Langfred hat das schon 2008 unter dem Namen der "Autonomie-Falle" in einer Studie beschrieben, später ist dieser Begriff vom ebenfalls amerikanischen Informatik-Professor Cal Newport weitergedacht worden.


Langfred und Newport beschreiben vor allem zwei Aspekte. Zum einen durch welche System-Defizite es überhaupt dazu kommt, dass niemand die Delegation von Verantwortung mit einer Weiterqualifizierung der Mitarbeiter verbindet (überspitzt zusammengefasste Antwort: weil zuwenig mitgedacht wird), zum anderen was die Folgen davon sind (nochmal überspitzt: es entsteht ein hyperaktives Schwarm-Bewusstsein, das ständig irrelevante Arbeit erzeugt). Mindestens genauso interessant ist aber eine andere Frage - welches Wissen hätte eigentlich zusammen mit der Delegation vermittelt werden müssen?


Als erstes dürfte hier das Kontextwissen zu nennen sein. In welchem Umfeld sind die Entscheidungen zu treffen für die man auf einmal zuständig ist? Zu welchen anderen Organisationseinheiten bestehen Abhängigkeiten und wer ist dort jeweils der Ansprechpartner an den man sich zuerst wenden sollte? Bereits bei Personen auf der gleichen Hierarchie-Ebene ist in dieser Hinsicht schon viel zu beachten, noch komplizierter wird es wenn andere Hierarchiestufen beteiligt sind. Die Frage wo Selbstorganisation aufhört und wo man weiter eine Genehmigung braucht ist hier von elementarer Bedeutung.


Ein weiterer Punkt ist das technische Wissen. Ist das was zur Entscheidung ansteht überhaupt mit den vorhandenen Systemen umsetzbar oder müssten die umkonfiguriert oder sogar umgebaut werden? Und wenn das zweite der Fall ist - wer könnte (und darf) das machen? Wer benutzt diese Systeme sonst noch und sollte daher in die Entscheidung einbezogen werden, welche Architekturparadigmen sind zu beachten, gibt es bereits Pläne für eine Ablösung oder Weiterentwicklung und was sind erfahrungsgemäss die Teile die besonders kompliziert oder instabil sind?


Auch Wissen um die Prozesse gehört dazu. In welchem Kommunikations-Kanal, mit welchen Informationen und mit welchen Fristen müssen Informationen verschickt und Änderungen angekündigt werden, welche Gesetze und Vorschriften sind relevant und was muss wie dokumentiert werden? Auch die inoffiziellen Prozesse sind wichtig. Wer hat beim jeweiligen Thema Interesse und Einfluss, wer könnte ein Unterstützer sein und wer gilt eher als Quertreiber? Wer das nicht weiss wird sich mitunter an unerwarteten Stellen schwertun.


Genug der Problembeschreibung, wie kann die Befreiung aus der Autonomiefalle gelingen? Schulungen sind verbreitet aber meistens ineffektiv, Peer Groups sind hilfreich, stehen aber oft vor dem selben Problem. Coaching durch die bisherigen Entscheidungsträger könnte die beste Lösung sein, oft sind diese aber mit dem Konzept nicht vertraut (nochmal eine spezielle Ausprägung der Autonomiefalle: viele Manager haben wenig Erfahrung damit Anderen zu helfen ohne die Entscheidung an sich zu ziehen).


Eine mögliche Lösung kommt aus David Marquets Buch Turn the Ship Around. In einem (z.B. wöchentlichen) Regeltermin kann man dem bisherigen Entscheidungsträger erzählen was man vorhat (ich möchte Folgendes erreichen) und wie man es angehen will (dazu plane ich Folgendes zu tun). Der kann dann auf mögliche Probleme hinweisen und Erfahrungswerte weitergeben, ohne dass er die Entscheidung übernimmt oder genehmigt. Mit der Zeit kann dieser Termin dann immer seltener werden, so dass man dadurch nach und nach aus der Autonomiefalle herausgeführt wird.

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