Donnerstag, 9. Februar 2023

Agile HR (II)

Bild: Unsplash / Jason Goodman - Lizenz

Agile Arbeitsweisen auf Bereiche ausserhalb der Produktentwicklung übertragen zu wollen trifft immer wieder auf die gleichen Widersprüche: das wäre doch etwas ganz Anderes, heisst es regelmässig, die Rahmenbedingungen und Arbeitsgegenstände wären völlig unterschiedlich, das könne man doch nicht gleich behandeln, etc. Dass die Gemeinsamkeiten grösser sind als von vielen gedacht kann man aber an Beispielen aufzeigen, z.B. im Bereich agile HR.


Auch Human Ressources hat ein Produkt (oder eine Dienstleistung), nämlich Bereitstellung von allem was zur Gewinnung, Bindung, Organisation, Entlohnung und Qualifizierung von Personal notwendig ist. Der Kunde, bzw. die Zielgruppe ist dabei das Personal selbst,1 das durch das sich Anstellen Lassen, den Verbleib oder die Kündigung dafür sorgt, dass auch hier ein Markt mit Angebot und Nachfrage entsteht, auf dem sich das durch HR vertretene Unternehmen behaupten muss.


Vor allem in grossen Unternehmen ist dieses HR-Produkt dabei oft von hinterfragbarer Qualität. Obwohl gut gemeint und mit nicht unerheblichem Aufwand erstellt wird es von den Angestellten häufig als nicht den Bedürfnissen entsprechend, sich nicht den Gegebenheiten anpassend und nur hinter bürokratischen Hürden erreichbar wahrgenommen. Die HR-Dienstleistungen schnell und unbürokratisch (🡒 agil) an Zielgruppenwünsche anzupassen sollte in Zeiten des Fachkräftemangels daher ein Ziel sein.


Die Änderungen die man zu diesem Zweck vornehmen kann sind denen in der Produktentwicklung sehr ähnlich. Ein in beiden Bereichen vorzufindender Klassiker ist zum Beispiel die Umstellung von Komponenten- oder Spezialistenteams auf crossfunktionale Teams, die möglichst viele Teile der HR-Dienstleistungen selbst erbringen können. Diese müssen dann nicht mehr ständig auf die Zulieferung anderer Spezialistenteams warten und werden alleine dadurch flexibler und schneller.


Aber ist eine klassische HR-Einheit denn wirklich Komponenten- oder Spezialisten-basiert aufgestellt? Bei näherer Betrachtung definitiv. Recruiting, Onboarding, Career Development, Compensation, Learning and Development, Diversity Management und Change Management bilden fast überall klar von einander abgegrenzte organisatorische Silos, die jedes für sich nur eine Teilleistung erbringen und mit den jeweils anderen nur mittelgut abgestimmt sind (mit Langsamkeit, Bürokratie und schlechter Qualität als Folge).


Eine Möglichkeit es besser zu machen wären gemischte Vollzeit-Teams, von denen jedes einzelne möglichst alle Aspekte der HR-Tätigkeiten abdecken kann. Und überall dort wo diese Tätigkeiten für viele Menschen erbracht werden müssen kann die Skalierung nicht nur durch Aufspaltung in Spezialistenteams erfolgen, sondern genau so gut dadurch, dass den Zielgruppen-Einheiten (Ressorts, Abteilungen, o.ä.) jeweils ein crossfunktionales HR-Team zugeordnet wird.


Ist eine solche Umstellung anspruchsvoll und anstrengend? In vielen Fällen ja. Ist die Sicherstellung übergreifend gleicher Qualitätsstandards eine Herausforderung? Definitiv. Wird die Umstellung von Hoch-Spezialisierung auf das in diesem Kontext nötige T-Shape-Profil allen HR-Fachkräften leicht fallen? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Und ist all das nicht eine gute Begründung dafür, crossfunktionale, agile HR-Teams doch nicht anzustreben? Nein, ist sie nicht. Die Idee ist und bleibt gut.


In der Produktentwicklung sind all diese Herausforderungen schliesslich auch gegeben, und trotzdem wurde dort wieder und wieder der Beweis erbracht, dass kleine, crossfunktionale, agil arbeitende Vollzeit-Teams die ideale Organisationsform sind um den Bedürfnissen entsprechende, an sich ändernde Gegebenheiten anpassbare und unbürokratisch erbrachte Produkte und Dienstleistungen zu erstellen. Und damit kommen wir zurück zum Anfang.


Bei genauer Betrachtung sind die die Gemeinsamkeiten von Produktentwicklung und HR grösserals man im ersten Gedanken annehmen würde, und selbst wenn das agile Arbeiten ursprünglich explizit für die Produktentwicklung erfunden wurde ist eine Übertragung sowohl machbar als auch sinnvoll. Man muss nur bereit sein sich darauf einzulassen.


1Eine zweite, ganz andere Kunden- bzw. Zielgruppe ist das Unternehmen selbst.

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