Mittwoch, 23. Dezember 2015

Jahresgespräche

Bild: Flickr/Tech.Co - CC BY-SA 2.0
Würde man unter den Angestellten vor allem grosser Unternehmen eine Umfrage machen um herauszufinden welche Methode ihrer Führung sie als eher dysfunktional empfinden - die Chancen stünden gross, dass die Jahresgespräche weit oben unter den Ergebnissen landen würden, jene Termine also in denen man gemeinsam mit dem Vorgesetzten auf das vergangene Jahr zurückblickt. In der Theorie sind diese zwar dazu da, Kommunikation zu verbessern, Vertrauen zu schaffen und die Mitarbeiter für die Unternehmensziele gewinnen, in der Realität sieht das aber oft anders aus, aus einer Reihe von Gründen:

1. Viele Vorgesetzte sind fachlich nur eingeschränkt in der Lage, die Leistung ihrer Mitarbeiter zu bewerten


Ein schwieriges Thema, aber eines an dem man nicht vorbeikommt. Leitende Angestellte kommen erstaunlich oft aus einem fremden Fachbereich (z.B. BWL) und kennen sich mit den eigentlichen Umsetzungs-Themen (z.B. IT oder Kundenservice) nur oberflächlich aus. Diejenigen die ihre Karriere dort begonnen haben sind nach Jahren oder Jahrzehnten im Management mit der eigentlichen Arbeit kaum noch vertraut, bzw. sie wissen nur noch wie es früher einmal war. Komplexe Themen erscheinen ihnen häufig zu einfach und einfache Themen zu komplex, die Geschwindigkeit des technologischen Wandels kann nicht mehr eingeschätzt werden und der direkte Kontakt zu Kunden und Anwendern ist unterbrochen. Notgedrungen lenken solche Führungskräfte die Gespräche in Gebiete in denen sie besser mitreden können, was zu einem weiteren Problem führt:

2. Leistung wird auf Messwerte (KPIs) reduziert


Derartige Führungskräfte haben die Tendenz sich in den Jahresgesprächen auf Themen zu konzentrieren die sich messen und zählen lassen, da das Betrachten der so erzeugten Zahlen sich auch mit wenig Detailwissen machen lässt. Statt konstruktiv darüber zu sprechen was gut lief und was man besser machen könnte wird versucht alles auf zählbare Werte herunterzubrechen. Im besten Fall geht es dabei um Fertigstellungsdaten oder generierte Umsätze, im schlimmsten Fall wird versucht Produktivität zu messen indem man die Einhaltung von (oft willkürlich gesetzten) Meilensteinen überprüft oder geschriebene Lines of Code, die Dauer von Beratungsgesprächen oder die Menge bearbeiteter Tickets zählt. Und wenn man damit einmal angefangen hat ist der nächste Fehler nicht weit:

3. Belohnung und Bestrafung finden auf Basis dieser Messwerte statt


 In dem Moment in dem sich die KPIs als zentrales Bewertungskriterium etabliert haben ist es (scheinbar) einfach: Wer seine messbaren Ziele erreicht bekommt ein Lob, wer sie übertrifft bekommt einen Bonus, wer sie nicht erreicht einen Malus. Die Folgen eines solchen Vorgehens wirken sich fast immer negativ auf die Produktqualität aus: Um Meinenstein-Termine zu halten wird an Architektur, Dokumentation und Testen gespart, das möglichst schnelle Beenden von Beratungsgesprächen beeinträchtigt die Beratungsqualität und um geforderte Ticket-Mengen zu liefern wird deren Menge durch unnötige Kleinteiligkeit aufgebläht. Anwendungen werden dadurch fehleranfällig, Kunden unzufrieden und Geschäftsvorgänge unübersichtlich und bürokratisch. Und noch ein Nebeneffekt tritt auf:

4. In den Gesprächen geht es oft nur noch um die Festlegung von zählbaren Zielen und um die Diskussion ob diese erreicht wurden


Zur Erinnerung: Kommunikation zu verbessern, Vertrauen zu schaffen und Mitarbeiter für Ziele zu gewinnen sollte das eigentliche Ziel sein. Stattdessen ist es in Jahresgesprächen die sich nur noch um Zahlen drehen häufig so, dass sich die Mitarbeiter zunächst für die Zahlen des letzten Jahres rechtfertigen müssen. Wenn Erfolge nicht klar zuzuordnen sind müssen sie beweisen, dass sie dazu beigetragen haben und im Misserfolgsfall findet eine Beweislastumkehr statt - jetzt müssen sie beweisen, dass sie nicht schuld daran sind. Die Zahlen für das nächste Jahr sind häufig "anspruchsvoll" und nicht selten von noch weiter oben vorgegeben (d.h. nicht verhandelbar). Selbst wenn ausserdem noch ein vertrauensbildender Teil oder ein Personalentwicklungsgespräch vorgesehen ist, kann das jetzt nur noch scheitern. Und apropos Vertrauen und Personalentwicklung:

5. Für Vertrauensbildung und Personalentwicklung sind Abstände von einem Jahr zu lang


In zwölf Monaten kann sich viel ändern. Durch neue Produkte von Konkurrenten ändert sich der Markt, die Technik entwickelt sich weiter, neue gesetzliche Regulierungen haben unerwartete Auswirkungen, Kollegen kommen und gehen und beeinflussen damit die Leistung der Abteilungen, etc., etc. Das alles sind Faktoren die in die Bewertung der Leistungen des letzten Jahres einfließen müssten, genau wie Grippewellen, Infrastrukturausfälle oder insolvente Lieferanten. Das alles in einem jährlichen Termin zu berücksichtigen ist nahezu unmöglich, allein die Auflistung aller relevanten Faktoren würde ewig dauern, ganz zu schweigen von der Diskussion über ihre Auswirkungen. Da das nicht geht entsteht Unmut auf beiden Seiten: der Mitarbeiter fühlt sich ungerecht behandelt, der Vorgesetzte hat das Gefühl nur mit nicht überprüfbaren Ausflüchten konfrontiert zu werden.

Aber wenn nicht so, wie dann?


Flexibler, in kürzeren Intervallen, ohne festes Schema, ohne falsche Anreize.
  • Zunächst einmal müssten solche Gespräche in kürzeren Abständen stattfinden, beispielsweise monatlich. Und dazu müsste auch genug Zeit zur Verfügung stehen. Nur so können alle relevanten Faktoren berücksichtigt und Ziele ggf. angepasst werden.
  • Die Bewertung dürfte nicht mehr auf einer quantitativen sondern auf einer qualitativen Ebene stattfinden. Dazu wäre es notwendig, dass der Vorgesetzte auch fachlich mitreden kann, selbst wenn das für ihn einen Einarbeitungsaufwand erfordert (für den er auch Zeit haben muss).
  • Es müsste auf jeden Mitarbeiter und seine Situation individuell eingegangen werden, also ohne zu starke Orientierung an einheitlichen Gesprächsleitfäden und Checklisten.
  • Und zuletzt müssten sämtliche Anreizsetzungen kritisch hinterfragt werden. Wenn ein individuelles Ziel negative Auswirkungen auf Kundenzufriedenheit oder Produktqualität haben kann, dann sollte man es nicht vorgeben. Auch hier gilt aber: um das erkennen zu können braucht es tiefere Beschäftigung mit dem Thema.
Es ist übrigens nicht so als ob es das nicht bereits gäbe, viele Unternehmen haben ihre Prozesse bereits entsprechend angepasst oder sind gerade dabei das zu tun. Genausoviele verharren aber noch in den alten Mustern und führen weiterhin Jahresgespräche durch die eher Schaden anrichten als Nutzen stiften. Und wenn es immer wieder nach diesen Gesprächen zu inneren oder tatsächlichen Kündigungen kommt, ist die Verwunderung groß.

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