Montag, 13. Februar 2017

The Soft Power of Scrum


Vor langer Zeit habe ich in meinem geisteswissenschaftlichen Studium etwas über die verschiedenen Dimensionen der Machtausübung gelernt. Vereinfacht gesagt gibt es in sozialen Systemen zwei wesentliche Möglichkeiten auf das Verhalten von Personen und Gruppen einzuwirken: man kann sie zwingen, der Begriff dafür ist Hard Power. Wesentlich effektiver ist es aber wenn die eigenen Ziele, Lösungswege und Verhaltensmuster für die Betroffenen so attraktiv sind, dass sie von sich aus gewollt werden. Diese Attraktivität wird als Soft Power bezeichnet. Das klassische Beispiel für diese beiden Dimensionen war der kalte Krieg: während die kommunistischen Staaten ihre Bevölkerung mit Polizei- und Militärgewalt in Kommunismus und Planwirtschaft zwingen mussten (Hard Power) beteiligte sich die Bevölkerung der westlichen Staaten freiwillig an Demokratie, Marktwirtschaft und Konsumkultur (Soft Power). Tatsächlich waren diese Dinge sogar so verlockend, dass auch die Menschen im Osten Wahlen, Popmusik, Hollywood-Filme und Fast Food haben wollten und sich dafür gegen die Unterdrückung auflehnten.

In Unternehmen sind die beiden Arten der Machtausübung ebenfalls anzutreffen. Hard Power entspricht hier den Wasserfall-, Top-Down- oder Command & Control-Ansätzen. Oben wird entschieden, unten wird nur ausgeführt - und wer sich dagegen auflehnt wird sanktioniert, vom Gespräch mit dem Vorgesetzten über die Abmahnung bis zur Entlassung. Die agilen Ansätze gehen dagegen von flachen Hierarchien und vom Führungsstil der Servant Leadership aus, in deren idealer Ausprägung es keine Befehlsgewalt mehr gibt. Infolgedessen ist Soft Power nötig, ohne die würden die Prozesse nicht mehr befolgt werden. Mit anderen Worten: obwohl Agilität wirtschaftliche Ziele hat (u.a. kurze Time to Market, geringe Cost of Delay) stehen in der Vermittlung häufig Mitarbeiterzufriedenheit und Mitarbeiterbindung im Vordergrund. Wenn die dazu führen, dass die agilen Vorgehensweisen befolgt werden, folgen die wirtschaftlichen Effekte von alleine.

In der Praxis sieht das so aus, dass Scrum & Co in einer Weise umgesetzt werden, die den Mitarbeitern Mitbestimmung, humane Arbeitsbelastungen und einen gewissen Coolness-Faktor bietet1. Die Teams dürfen selbst entscheiden wie viel Arbeit sie realistisch leisten können, unklare Anforderungen dürfen abgelehnt werden, Kunden und Stakeholder sind direkt erreichbar und werden nicht durch eine Management-Schicht ferngehalten. Zusätzlich dazu gibt es eine kreativitätsfördernde, Startup-ähnliche Atmosphäre mit Standup-Meetings, bunten Post Its an großen Boards und vielen spielerischen Elementen (bestes Beispiel ist das Estimation Poker). Das fördert nicht nur das Engagement und Commitment in den Teams sondern strahlt auch nach aussen ab. Genau wie die Menschen im Kommunismus sich nach dem westlichen Way of Life sehnten würden viele der "klassisch" arbeitenden Kollegen am liebsten ebenfall sofort "agil werden" wenn sie die damit verbundenen Arbeitsbedingungen sehen.

Die Herausforderung dieser Situation besteht darin, auch das Management mitzunehmen. Ohne Befehlsgewalt und Kontrollmacht haben viele Manager das Gefühl, dass die Situation unkontrollierbar und stressig wird - die Soft Power wirkt hier nicht mehr so wie auf den unteren Ebenen. An dieser Stelle muss die Vermittlung rationaler und zahlengetriebener werden und die wirtschaftlichen Effekte müssen in den Vordergrund treten. Zum Glück liefern aber auch die ausreichend gute Argumente für mehr Agilität.


1Wobei die beiden ersten ausserdem noch zu Effizienz und Produktivität beitragen

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