Donnerstag, 8. März 2018

Die richtigen Helden belohnen

Bild: Flickr/W_Minshull - CC BY 2.0
Eines der Teams bei einem meiner Kunden hatte den Ruf, dass es am Rand des Scheiterns stehende Projekte auf den letzten Metern "herumreissen" konnte. Wenn die Deadline bedrohlich nah gerückt war und den Managern bereits der Schweiss auf der Stirn stand beschlossen die Teammitglieder, dass es mal wieder an der Zeit wäre "ein paar Nächte durchzumachen". Das Team schloss sich irgendwo ein, arbeitete praktisch rund um die Uhr und schaffte es tatsächlich auch jedesmal irgendetwas abzuliefern was dem ursprünglich geplanten Ergebnis zumindest nahe kam. Regelmässig bekam es dafür vom Management öffentliches Lob und gewisse Privilegien, sei es in Form flexiblerer Arbeitszeiten oder durch größere Freiheiten bei Coding Standards und Methodentreue.

"Von solchen Leuten brauchen wir mehr", meinte das Management, und Teil meines ursprünglichen Auftrages war es, einen derartigen Geist auch in anderen Teams zu fördern. Die Überraschung war groß als ich nach kurzer Zeit einen genau gegenteiligen Ratschlag gab - diesem Team sollten seine Privilegien genommen werden, Hauruck-Aktionen sollten nach Möglichkeit vermieden werden und vor allem sollte nach dem "Herumreissen" öffentliches Lob nur noch sehr sparsam verteilt werden.

Der Hintergrund war, dass die so heldenhaft bewältigten Krisensituationen grösstenteils selbst verursacht waren, und zwar zum einen eben durch die Befreiung von Coding Standards (Qualitätssicherung) und Methodentreue (Verbesserungsprozessen), zum anderen aber auch durch Schlampigkeit und Prokrastination. Im Bewusstsein gegen Ende finale Rettungsaktionen durchführen zu können war die Arbeitsmoral in den Vorwochen auf niedrigem Niveau, "flexible Arbeitszeiten" bedeutete in dieser Zeit spät zu erscheinen, lange Pausen zu machen und früh zu gehen.

Besonders verheerend wirkte in diesem Zusammenhang, dass andere Teams zwar deutlich professioneller arbeiteten, dafür aber kein Wort der Anerkennung bekamen. Im Gegenteil, wer realistisch plante, kontinuierlich lieferte und sicherheitshalber ein kleines Zeitpolster am Ende vorsah musste sich öffentlich fragen lassen warum er nicht sein konnte wie der Haufen Helden Chaoten, dessen hektische nächtliche Rettungsaktionen Büro und Code in einem Zustand wilder Unordnung hinterliessen. Entsprechend schlecht war es in den professionell arbeitenden Teams um die Motivation bestellt.

In den folgenden Team- und Review-Meetings wurden Belohnungen anders verteilt als bisher. Die kontinuierlich liefernden Teams wurden gelobt und erhielten mehr Zeit für Innovation und Verbesserung, dem Hauruck-Team wurde zwar gedankt, es wurde aber auch gebeten auf mehr Struktur zu achten und regelmässige Lessons Learned-Sessions abzuhalten um die eigenen Prozesse so zu verbessern, dass nicht erst gegen Ende alles fertig wurde. Zudem erhielt es eher unkritische, dafür aber auch weniger spannende Aufgaben, bei denen es nicht auf die Fertigstellung zu bestimmten Zeitpunkten ankam.

Die Folgen dieses geänderten Vorgehens waren deutliche Verbesserungen in verschiedenen Bereichen: die Moral in den Teams (mit der einen Ausnahme) ging hoch, die Lieferung neuer Features erfolgte gleichmässiger und weniger schubweise, der für Bugfixing und Refactoring notwendige Zeitaufwand ging zurück. Und nicht zuletzt entstand im Management eine klare Vorstellung davon welches Verhalten man besser fördern sollte und welches besser nicht.

Konstellationen wie diese finden sich in vielen großen Organisationen, und es lohnt sich sie anzusprechen sobald sie entdeckt werden. Die richtigen Helden zu finden, zu loben und zu belohnen kann eines der wirkungsvollsten Management-Werkzeuge sein um positive Veränderungen herbeizuführen. Man sollte es nutzen.

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