Montag, 19. März 2018

Marxismus und Leninismus

Bild: Flickr / Kent Wang - CC BY-SA 2.0
Da agilen Vorgehensweisen nachgesagt wird, sie würden die Arbeitswelt revolutionieren - was läge näher als Revolutionstheorien auf sie anzuwenden? Und mit wem wenn nicht mit anderen Scrum Mastern und Agile Coaches sollte man das diskutieren? Folgerichtig fand vor Kurzem ein Gespräch mit zweien von ihnen statt, das Gesprächsthema waren Marxismus und Leninismus. Das Ganze natürlich nicht dahingehend, dass Agilität gleich Kommunismus wäre, sondern darauf abzielend, die Gesetzmässigkeiten revolutionärer Bewegungen (unabhängig von der dahinterstehenden Ideologie) auf agile Transitionen anzuwenden.

Zunächst zum Marxismus. Marx ging davon aus, dass die Revolution aufgrund von Sachzwängen unvermeidbar sein würde. Sein berühmter Satz aus dem Werk "Kritik der Politischen Ökonomie" wird häufig zitiert: "Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt." Er bedeutet, dass eine Umwälzung unabwendbar stattfinden muss, sobald die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine bestimmte Entwicklungsstufe erreicht haben. An dieser Stelle gibt es Parallelen zu den agilen Vordenkern: diese gehen davon aus, dass volatile und sich rapide ändernde Märkte und Technologien gar keine andere Lösung zulassen als eben die Agilität.

Das Problem an dieser Stelle: bis die Veränderung stattfindet kann es dauern. Vielleicht ist die notwendige Ausgangslage noch nicht zur Gänze erreicht, vielleicht ist das Beharrungsvermögen der bisherigen Ordnung (noch) zu groß, vielleicht findet eine Gegenbewegung statt. Was immer es auch im Einzelfall ist, das Ergebnis ist, dass der Umschwung nicht richtig vorankommt, im schlimmsten Fall sogar stagniert. Sowohl in Revolutionen als auch in agilen Transitionen ein bekannten Phänomen. Marx' Lösung: abwarten. Die Revolution lässt sich nicht aufhalten, sie kommt ggf. nur etwas später.

Nun hat nicht jeder diese Geduld, wie in praktisch jedem anderen Bereich gab und gibt es auch hier Menschen die gerne alles beschleunigen würden. Unter ihnen ist vor allem Lenin zu nennen, der sich in seinem Werk "Was tun?" zuerst über die geringen Erfolge der Vergangenheit beklagte um dann das Konzept der "revolutionären Avantgarde" zu entwickeln, einer Gruppe die in ihrer geistigen Entwicklung schon weiter ist als der Rest der Bevölkerung und diese durch Organisation und Agitation dazu bringt weiter zu gehen als sie es von sich aus tun würde. Aus diesem Blickwinkel betrachtet kann man in vielen agilen Transitionsprogrammen "Leninisten" finden, und zwar sowohl im Management als auch unter den Agile Coaches.

Ohne historische Parallelen zu sehr strapazieren zu wollen - der Ansatz der revolutionären Avantgarde war kein Erfolg. Gefangen in der Idee, dass Unverständnis und Widerspruch nur Symptome geistiger Rückständigkeit sein können begannen die selbst ernannten Vorreiter der Revolution die anderen Menschen zu bevormunden und zu entmündigen, was dazu führte, dass diese sich abwandten und in die innere oder äussere Emigration gingen. Die angestrebte neue Welt bestand nur als Fassade und kollabierte schließlich.

Ein ähnliches Schicksal haben viele agile Transitionen vor oder hinter sich. Sobald das Gefühl um sich greift für dumm gehalten und bevormundet zu werden wird die Veränderung (egal wie gut sie gemeint ist) zu einem nur noch durch Befehl und Gehorsam am Leben gehaltenen Fremdkörper, der bei der nächsten Gelegenheit abgestossen wird. Bis dahin greifen Konzern-Anarchismus und brauchbare Illegalität um sich. Aus diesem Grund sollte "Leninismus" sobald er erkannt wird angesprochen und mitsamt des dahinterliegenden Menschenbildes aufgearbeitet werden. Geschieht das nicht besteht das hohe Risiko, dass das ganze Transitionsvorhaben scheitert.

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