Montag, 5. Dezember 2016

Denn sie wissen nicht, wen sie rekrutieren (II)

Bild: Pixabay/Adabara - Lizenz
Drüben bei Personalmarketing 2null geht es im Augenblick unter anderem darum, dass Stellen oft unbesetzt bleiben, weil Personaler und Vermittler sich bekloppte irreführende Stellenbezeichnungen ausdenken, mit denen dann keiner etwas anfangen kann. Aus eigener Erfahrung kann ich das bestätigen, denn was ich bei Ausschreibungen im Scrum-Umfeld mitbekommen habe war zum Teil haarsträubend.

Beispiel 1:

Eine Firma führt agile Vorgehensweisen bei sich ein und macht zunächst einmal etwas sehr Vernünftiges: den Teams wird freigestellt mit welcher Methode sie arbeiten wollen. Scrum, Kanban, sogar kleinere und exotische Methoden, alles ist erlaubt. Einzige Bedingung ist, dass es jemanden gibt der sicherstellt, dass die jeweilige Methode verstanden und angewandt wird. Da der Begriff des Scrum Masters ausserhalb von Scrum nicht passt wird diese Rolle unternehmensweit in "Agile Master" umbenannt. Jetzt geht es an die Besetzung und noch eine sinnvolle Entscheidung wird getroffen: die Leute auf diesen Positionen sollen Berufserfahrung mitbringen. Was macht die Personalabteilung? Genau, sie erstellt Stellenprofile in denen steht "notwendige Einstellungsvoraussetzung: mehrjährige Berufserfahrung als Agile Master". Da dieser Titel aber ausserhalb dieses Unternehmens nicht existiert findet sich niemand den man einstellen kann.

Beispiel 2:

Eine Anfrage einer Personalberatung kommt herein, für die Stelle eines "Consultant oder Senior Consultant". Zu den Aufgaben gehören "Analyse der Methoden", "Benchmarking", "Gestaltung der Prozesse", "Erhebung von Daten" und "Gewährleistung der Konformität". Um welche Methoden, Prozesse, Benchmarks und Daten es geht wird nicht erläutert. Kurze Zeit später folgt ein Anruf: ob man die Ausschreibung bekommen hätte und interessiert wäre. Nach einem kurzen Gespäch klärt sich warum die Anfrage so nichtssagend war - der freundliche Personalberater hat das "Fach-Chinesisch" des Kunden entfernt, damit der Text "lesbarer" wird. So wurde aus dem "Senior Scrum Master/Senior Product Owner" der "Senior Consultant", aus der "Analyse der passenden agilen Methoden" wurde die "Analyse der Methoden", etc, etc. Mit anderen Worten - es wurde alles entfernt was einen Scrum-affinen Menschen ansprechen würde.

Beispiel 3:

Um sich "von der Masse abzusetzen" beschließt eine Personalabteilung, dass die Rollen umbenannt werden, damit sie "mehr hip" und "mehr fancy" erscheinen. Aus dem Software-Entwickler wird der "Agile Development Expert", aus dem Scrum Master der "Process Evangelist" und aus dem Product Owner der "Delivery Champion". In die Welt geschickt wird das dann mit übertrieben euphorischen Formulierungen wie "Booste die Performance Deiner Crew als Process Evangelist (m/w) bei _____". Völlig überraschend gibt es kaum Rückläufer. Auf den Hinweis, dass das an den völlig weltfremden Formulierungen liegen könnte reagieren die Verantwortlichen beleidigt. Da hätte man sich doch erkennbar Mühe gegeben und dann wäre es auch wieder nicht recht. Man solle doch bitte nicht so destruktiv sein.

Diese drei Geschichten haben sich tatsächlich zugetragen, und es sind leider keine Einzelfälle. Das aus meiner Sicht Erschütternde daran war, dass selbst sachliche und konstruktive Hinweise komplett abgebügelt wurden. Ich habe die Geschichten nicht weiter verfolgt und bin mir nicht sicher ob die Stellen jemals besetzt wurden, auf jeden Fall hat man es sich aber bei der Personalsuche unnötig schwer gemacht.


PS: Um etwas Kontext zu geben - in der Zeit gibt eine Personalvermittlerin einen Einblick in ihre Sicht der Dinge.

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