Donnerstag, 24. August 2017

Warum Konzerne nicht versuchen sollten agil zu werden

Bild: Max Pixel / Freegreatpicture - CC0 1.0
Im Vergleich zu kleineren Unternehmen tun sich Konzerne häufig besonders schwer wenn es darum geht agile Vorgehensmodelle einzuführen. Dabei fehlt es meistens nicht am Willen, zumindest nicht an dem des Managements. Gemeinsam um einen langen Konferenztisch sitzend schaut man sich tief in die Augen und versichert sich gegenseitig "Wir werden Agil", tritt vor die Belegschaft und spricht auf Kickoff-Veranstaltungen um die Botschaft hinauszutragen in das eigene Unternehmen. Die Mitarbeiter verstehen, sie haben den Auftrag Agil zu werden. Die Umsetzung beginnt. Und dann passiert das genaue Gegenteil.

Das Problem in vielen Organisationen ist, dass sie ein falsches Verständnis von Agilität haben. Agilität wird gleichgesetzt mit den Rollen und Meetings von Scrum, SAFe und Spotify. Gibt es in den IT-Teams statt Teamleitern Scrum Master? Check. In den Fachabteilungen statt Business Analysten Product Owner? Check. Der Statusbericht heisst jetzt Daily Standup? Check. Die Architektur- und QA-Teams heissen jetzt Gilden? Check. Das Problem: hinter den neuen Rollen, Personen und Strukturen bestehen die alte Kultur und die alten Mindsets weiter. Das bloße Einführen neuer Organisationsstrukturen ändert gar nichts.

Was hier passiert ist nichts anderes als eine Umkehrung von Mittel und Zweck. Eigentlich sind agile Methoden nur ein Mittel um den Kulturwandel zu stützen und zu befördern, der Voraussetzung ist um den eigentlichen Zweck zu erreichen: kurze Time to Market, hohe Reaktionsgeschwindigkeit, Vermeidung sinnloser Arbeit. Nur dafür wurden die Frameworks, Rollen und Events erfunden und nur wenn sie darauf ausgerichtet sind machen sie Sinn. Wenn sie stattdessen als Selbstzweck eingeführt werden ist dieser nicht mehr gegeben. Einen Product Owner zu benennen nur damit er da ist bringt niemandem etwas.

Dass es trotzdem immer wieder vorkommt liegt daran, dass die meisten großen Unternehmen sich mit "weichen" Begriffen wie Kulturwandel oder Mindset-Weiterentwicklung extrem schwer tun. Nach Jahrzehnten der "Optimierung" durch zahllose Unternehmensberatungen greift fast überall der Reflex, dass sofort alles gemessen, gezählt und anhand dieser Zahlen kontrolliert werden muss. Und im Fall einer Agile- oder Scrum-Einführung ist das erste im Wortsinn Zählbare das man findet die Anzahl der Teams die schon die neuen Rollen und Meetings haben. Die alte Kultur formt die agilen Vorgehensmodelle auf diese Weise wieder in Command & Control um.

Um diese Zustände zurück auf die Füße zu bringen kann es sinnvoll sein die Begrifflichkeiten der Agilität fallenzulassen (und damit aus dem Focus der "Zähl- und Mess-Fetischisten" zu nehmen) und den eigentlichen Zweck wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn kurze Time to Market, hohe Reaktionsgeschwindigkeit und Vermeidung sinnloser Arbeit erreicht werden sollen, dann kann man das auch so benennen. Und die dahinführenden Maßnahmen werden automatisch die sein müssen die man aus Scrum & Co kennt: Nähe zum Kunden, flache Hierarchien, schlanke Prozesse und Automatisierung sich wiederholender Tätigkeiten. An dieser Stelle angekommen kann die Zähl- und Mess-Fixierung sogar wieder zum Vorteil werden - die Erkennung und Messung von Lead Times, Cycle Times und Reaktionszeiten ist genau das was man für die (von Natur aus datengetriebenen) agilen Vorgehensmodelle braucht.

Am Ende ist es fast ein Paradoxon. Sich das Ziel zu setzen Agil zu werden führt viele Konzerne in eine Sackgasse. Auf diese Bezeichnung zu verzichten kann Agilität dagegen fördern.

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