Donnerstag, 11. Januar 2018

No silver bullet

Bild: Flickr / Ed Schipul - CC BY-SA 2.0
Beratungssituation Nummer Eins: in einem mittelständischen Unternehmen wird Software produziert die für jedes Land lokalisiert, d.h. an die dortigen Vorlieben angepasst wird. Der für einen unbedeutenden Markt zuständige Produktmanager bekommt nur Ressourcen für Bugfixing genehmigt, sonst keine. Seine Frage - wie kann agiles Vorgehen ihm helfen trotzdem Marktforschung zu betreiben und Features zu entwickeln?
Beratungssituation Nummer Zwei: ein Projektleiter sitzt vor dem in seiner Firma zwingend vorgeschriebenen dreißigseitigen Projektbeantragungsformular. Seine Frage - wie füllt man das mit Scrum unkompliziert aus?
Beratungssituation Nummer Drei: ein Projekt besteht aus mehreren organisatorischen Silos. Fachabteilung, Entwicklung, Test. Direkte Kommunikation zwischen ihnen ist nicht zulässig, die läuft immer über das Prozessmanagement. Der Testmanager fragt - wie bekommt man da mit agiler QA bessere Qualität?

Alle drei Beratungssituationen haben sich vor nicht zu langer Zeit fast genau so zugetragen und in allen drei Fällen musste der Agile Coach antworten, dass weder Scrum, noch Kanban, noch Lean Startup noch irgendein anderer agiler Ansatz in derartigen Situationen weiterhelfen kann. In jedem dieser Fälle sind Ausgangssituation und Rahmenbedingungen so ungünstig, dass eine Verbesserung der Zustände unmöglich ist solange diese nicht geändert werden. Kein Framework und keine Methode der Welt können daran etwas ändern. Und eigentlich ist das auch so selbstverständlich, dass es dafür kein Beratungsgespräch braucht.

Das Problem: oft kommen derartige Situationen zustande weil vorher ein Berater oder Manager behauptet hat, mit agilen Ansätzen würde alles besser werden. Natürlich nicht mit diesen Worten, aber dem Sinn nach - ohne bestehende Prozesse abzuschaffen müsste nur zusätzlich dazu "agil eingeführt werden" um "signifikante Verbesserungen in allen Bereichen" zu erzielen. Und diese Anführungszeichen symbolisieren keine Distanzierung, sie sind wörtliche Zitate, die bei einem der oben genannten Kunden genau so von Management und Beratern getätigt wurden.

Die Konsequenzen dieser Situation sind einfach vorstellbar, "Agil" gilt in diesem Unternehmen nur noch als eine Ansammlung leerer, unseriöser Versprechen, es ist, wie man so schön sagt, verbrannt. Leider kein Einzelfall, denn selbst wenn die oben genannten Beispiele extrem sind - viel zu oft wird geglaubt, gehofft oder behauptet, dass es kein Problem gebe, dass sich mit "Agil" nicht lösen ließe. Nach der zwangsläufig folgenden Erkenntnis, dass das nicht so ist, ist die Enttäuschung dann um so größer.

Zu den ersten und wichtigsten Tätigkeiten einer agilen Transition sollte daher ein bei allen Beteiligten durchgeführtes Erwartungsmanagement gehören. Agile Vorgehensweisen sind keine silberne Kugel, also keine Wundermittel (und agile Skalierungsframeworks schon gar nicht!) und in vielen Fällen werden sie erst dann ihre Wirksamkeit entfalten können wenn man im Gegenzug bereit ist sich von anderen, "bewährten" Ansätzen zu trennen. Dort wo das nicht der Fall ist sollte man tun was immer ratsam ist wenn Kugeln durch die Luft fliegen: in Deckung gehen.

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