Donnerstag, 16. August 2018

Krisenkommunikation

Bild: Flickr / Katjung - CC BY-SA 2.0
Zu den interessanteren Medienbeiträgen der letzten Zeit gehört ein Interview mit dem Psychologen Reiner Kemmler zum Thema Krisenkommunikation auf Flughäfen. Auf den ersten Blick erscheint das Thema sehr spezifisch, auf den zweiten Blick finden sich aber viele Parallelen zur Agilität: eine bereits komplexe Ausgangssituation, unerwartete Geschehnisse mit zum Teil grossen Auswirkungen, autonom und unkoordiniert vorgehende Akteure, etc. Vieles lässt sich auf andere grosse Unternehmenen und Behörden übertragen.

Der Ausgangspunkt: die Krise

Wo Komplexität zu finden ist, da gibt es auch Krisen, das ist fast schon ein Naturgesetz. Ausfallende Flüge und gestandete Passagiere sind da nur ein Beispiel, andere wären insolvent gehende Geschäftspartner, disruptive Umwälzungem am Markt oder in der Technik, offensichtlich werdende Fehlplanungen, sich ändernde gesetzliche Rahmenbedingungen, Wirtschaftskrisen und vieles mehr. Sie alle stellen die betroffenen Organisationen vor grosse Herausforderungen, von denen es hier um eine gehen soll: wie kann die Krise so kommuniziert werden, dass Märkte, Mitarbeiter und Kunden beruhigt werden statt durch Panikreaktionen alles zu verschlimmern?

Verstärkung der Krise durch fehlendes Reaktionsvermögen

Es ist ein unschöner Klassiker: über Jahre werden Abäufe so auf Effizienz getrimmt, dass jeder Mitarbeiter zu fast hundert Prozent ausgelastet ist und fast jeder Prozess auf dem kritischen Pfad verläuft. Dass eine hundertprozentige Auslastung schlecht ist zeigt sich im Krisenfall - die für eine schnelle Reaktion notwendigen Kapazitäten und Freiräume wurden wegrationalisiert, jeder Zusatzaufwand führt zu Überlastung, Rückstauungen und Stillstand. Und wenn sich die Arbeit erst aufgestaut hat kann sie nur durch Überstunden wieder abgebaut werden, mit den bekannten Folgen: Übermüdung, Frustration, dadurch überhastete und fehlerhafte Kommunikation, die dann noch mehr Aufwände verursacht.

Herrschaftswissen und Flurfunk

Irgendwann ist es offensichtlich - sensible Informationen können während und nach ihrer Bekanntgabe nicht mehr ausreichend genug kommunikativ begleitet werden um Unruhe und Fehldeutungen zu vermeiden. Häufig führt das zu der Entscheidung, dass so lange mit der Bekanntgabe gewartet wird bis man glaubt die Lösung gefunden und umgesetzt zu haben. Allerdings ist das in der Regel nicht möglich, irgendwo sickern immer Teilinformationen durch, verbreiten sich, werden schlimmstenfalls aufgebauscht und sorgen für Misstrauen gegenüber offiziellen Verlautbarungen. Selbst wenn jetzt offen kommuniziert werden würde, gäbe es den Verdacht, dass Informationen zurückgehalten werden.

Endstadium: aus der Krise wird Chaos

Letztendlich treten genau die Gruppendynamiken und Absetzbewegungen auf die man vermeiden wollte. Verunsichert von der schwerfälligen und intransparenten Kommunikationspolitik versuchen Kunden, Partner und Mitarbeiter sich vorsorglich in Sicherheit zu bringen. Aufträge werden storniert, Projekte nicht verlängert, statt für das gemeinsame Ziel wird nur noch für die eigene Absicherung gearbeitet, ganze Abteilungen beschliessen "zu überwintern" bis sich die Situation beruhigt hat. Beruhigende Verlautbarungen werden grundsätzlich nicht mehr geglaubt sondern als Vertuschungsversuche interpretiert. Schlimmstenfalls setzt sich die Situation im kollektiven Gedächtnis der Organisation fest und belastet die Zukunft.

Aber wenn nicht so - wie dann?

Im Grunde durch die Umkehrung der oben genannten Antipattern. Statt die gesamt Organisation bis ins letzte Eck durchzuoptimieren müssen freie Kapazitäten vorhanden sein die auch kurzfristig Kommunikationsaufgaben übernehmen können sobald es nötig ist. Ein passender Vergleich wäre ein Feuerwehrmann, bei dem die Brandbekämpfung auch nur einen kleinen Teil der Arbeit einnimmt. Des weiteren empfiehlt sich grösstmögliche Offenheit von Anfang an. Klar und offen zu zu kommunizieren, dass es eine Krise gibt mag zwar zu Beginn schmerzhaft sein, das dauerhafte Misstrauen das sich aus dem Zurückhalten von Informationen ergibt ist aber langfristig um ein Vielfaches verheerender. Und wenn klar ist, dass Reaktionen möglich sind und bereits stattfinden verliert die Ungewissheit viel von ihrem Schrecken. Es ist ein Allgemeinplatz aller agilen Vorgehensmodelle - wenn man in der Lage ist kurzfristig auf Veränderungen zu reagieren ist es unkritisch wenn sich die Realität anders entwickelt als geplant.

Natürlich muss dafür auch die Gesamtorganisation zu Reaktionen in der Lage sein und nicht nur die Kommunikationsabteilung. Das ist aber dann ein Thema für sich.

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