Samstag, 9. November 2019

Freiheit und Sinnhaftigkeit

Bild: National Guard / University of Minnesota IAS - Public Domain
Zeit für einen Blick über den Tellerrand. Am heutigen 9. November können wir den 30. Jahrestag des Mauerfalls feiern. Nach so langer Zeit dürften die damaligen Ereignisse für viele Menschen nicht mehr als eine Kindheitserinnerung sein - wenn sie damals überhaupt schon gelebt haben. Vielleicht macht es gerade deshalb Sinn ein bisschen über das zu reflektieren was damals passiert ist.

Zuerst eine kurze Anmerkung zur persönlichen Betroffenheit. Ich gehöre zwar zu den erwähnten Menschen die damals noch im Kindesalter waren (und wohnte damals nicht im Osten), mir waren aber später tiefere Einblicke in diese Zeit vergönnt. Während meines Studiums durfte ich eine Zeit lang in der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, der BSTU, arbeiten, mit Zeitzeugen sprechen, Akten lesen und dabei helfen die Geschichte aufzuarbeiten.

Was mir aus diesen Akten, aber auch aus Gesprächen mit den Bürgerrechtlern der ehemaligen DDR in Erinnerung geblieben ist waren die Gründe für die Rebellion gegen das sozialistische Regime, die den Mauerfall auslöste. Neben sekundären Aspekten (Verwandte im Westen, Fehlen von hochwertigen Konsumgütern) waren es vor allem zwei die immer wieder genannt wurden: der Wunsch nach Freiheit und der Wunsch nach Sinnhaftigkeit, oder von der anderen Seite betrachtet die Ablehnung von Diktatur und Planwirtschaft.

Der Wunsch nach Freiheit erschliesst sich sofort. Die Bürger der DDR waren durch Mauer und Stacheldraht im eigenen Land eingesperrt und wurden regiert von einem diktatorischen Regime, das nicht durch Wahlen legitimiert war und abweichende Meinungen durch Zensur, Diskriminierung und Gefängnisstrafen unterdrücken wollte. Dass sich dagegen aufgelehnt wurde lässt sich problemlos nachvollziehen, ähnliche Reflexe dürfte jeder verspüren, der sich in derartigen Umständen wiederfindet.

Erst auf den zweiten Blick nachvollziehbar ist der zweite Grund für die Auflehnung, der Wunsch nach Sinnhaftigkeit. Bedingt durch die planwirtschaftliche Volkswirtschaft war jeder Bürger der DDR permanent von der dadurch verursachten Ineffizienz betroffen. Diese wirkte sich spürbar im Fehlen bestimmer Güter (z.B. Autos) aus, noch verheerender war allerdings die offensichtliche Unsinnigkeit der eigenen Arbeit. Dem Verrotten der Ernten, der Erstellung schlechter Produkte und der Bürokratisierung einfachster Abläufe waren die Menschen nicht nur ausgeliefert, sie mussten sich wider besseres Wissen an ihrer Herbeiführung beteiligen. Auch die Rebellion dagegen ist verständlich.

Dass die Bürger der DDR bereit waren im Kampf für Freiheit und Sinnhaftigkeit selbst Gefängnis, berufliche Diskriminierung und körperliche Gewalterfahrung in Kauf zu nehmen zeigt wie stark die Sehnsucht nach ihnen ist. Auch heute, 30 Jahre später, ist es sehr zu empfehlen sie nicht einzuschränken sondern gemeinsam mit den Menschen nach ihnen zu streben. Nicht nur in der Politik sondern auch in Wirtschaft und Gesellschaft.

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