Scaled Agile: Large Scale Scrum (LeSS)
Grafik: Less.works - CC BY-NC-ND 2.0 |
Wenn es um die Skalierungsframeworks für Scrum geht sind es in den letzten Jahren vor allem drei die immer wieder genannt werden. SAFe, das vor allem in Konzernen immer populärer wird, sowie Nexus und Scrum@Scale, die den Vorteil haben, dass jeweils einer der beiden Urheber von Scrum hinter ihnen steht. Tatsächlich gibt es aber noch ein weiteres: Large Scale Scrum (abgekürzt LeSS), das 2005 entwickelt wurde und damit sogar deutlich älter ist als die drei anderen.1
Diese Kombination aus relativ geringer Bekanntheit und relativ weit zurückliegender Entstehung hat dazu geführt, dass selbst unter den Skalierungs-erfahrenen Scrum Mastern und Agile Coaches viele sind die eine bestenfalls wolkige Vorstellung von diesem Framework haben. Je nachdem wen man fragt kann es als z.B. sehr schlank oder sehr umfangreich, als Teil des eigentlichen Scrum-Frameworks oder als separate und inhaltlich erkennbar abweichende Variante beschrieben werden.
Am schnellsten lässt sich die zuletzt genannte Unklarheit aufklären. LeSS war mal de facto ein Teil des offiziellen Scrum, hat sich aber mit dessen Versionen von 2017 und spätestens 2020 von ihm gelöst. Wesentliche neue Teile wie das Produkt-Ziel wurden nicht übernommen, gestrichene Teile wie die verpflichtenden drei Fragen im Daily wurden dagegen beibehalten. LeSS ist damit auch nach eigener Auffassung zu einer weiteren Variante geworden, die inhaltlich erkennbar eigenständig ist.
Komplizierter ist es bei der Frage wie schlank das LeSS-Framework ist. Von der Grund-Idee ist es sehr schlank, es basiert auf den Skalierungs-Aspekten die ohnehin im offiziellen Scrum-Guide stehen: wenn mehrere Teams an einem gemeinsamen Produkt arbeiten haben sie ein gemeinsames Product Backlog, einen gemeinsamen Product Owner und eine gemeinsame Definition of Done. Plannings und Reviews sind jeweils Team-übergreifend, neue Rollen und Termine werden vermieden.2
In den Büchern und auf der Website finden sich allerdings noch umfangreiche weitere Inhalte. Zugrundeliegende Prinzipien, notwendige Vorbedingungen in der Aufbau- und Ablauforganisation, Ausführungen zur Rolle des Managements, notwendige agile Praktiken der Software-Entwicklung und Anleitungen für die initiale Methodeneinführung werden hier beschrieben, in Summe kommen so mehrere hundert Seiten Text zusammen.
Die Frage ist jetzt ob diese erweiterten Inhalte als Teil von LeSS gesehen werden oder nicht. Wenn nicht ist es tatsächlich ein sehr schlankes Framework, dessen Regeln ähnlich wie die von Scrum selbst auf wenigen Seiten zusammenfassbar sind. Sind sie dagegen Teil von ihm kommt ein Gesamt-Umfang zu Stande der vermutlich zur Zeit nur noch von SAFe übertroffen wird. Entscheidend ist die eigene Interpretation, eine klare Trennung zwischen einem "LeSS-Guide" und Good Practices gibt es nicht.
Aus diesen Klärungen ergeben sich auch Implikationen für die Umsetzung. Firmen in denen für bereits nach Scrum arbeitende Teams nach einem Skalierungsframework gesucht wird sollten sich die Eigenständigkeit von LeSS bewusst machen und sich fragen wie wohl sie sich mit dem parallelen Einsatz von zwei verschiedenen Scrum-Varianten fühlen würden.3 Ist das unbedenklich kann LeSS eine interessante Option sein, da es keine zusätzlichen Rollen und Meetings erfordert.
Auch neu mit Scrum startenden Unternehmen sollte der Unterschied zum offiziellen Scrum bewusst sein, allerdings gibt es für sie ein weiteres klares Argument für LeSS: mit seinen umfangreichen Beschreibungen der notwendigen Vor- und Rahmenbedingungen geht LeSS weit über den Scrum Guide hinaus und macht die notwendigen Umstellungen in der Gesamt-Organisation besser erkennbar. Das erfordert grössere Anstrengungen, verhindert aber Optimierungen die nur lokale Effekte haben.
Für alle denen diese Vorgaben zu weit ins Detail geht und die gleichzeitig mit dem offiziellen Scrum kompatibel bleiben wollen gibt es übrigens mit Nexus eine Alternative die LeSS sehr ähnlich ist aber einen geringeren Umfang hat4 und auf dem aktuellen Scrum Guide aufbaut. Letztendlich gilt aber auch für beide das Urteil des Dodo: wenn sie auf den gleichen Absichten und Erkenntnissen aufbauen werden sie auch ähnliche Ergebnisse mit sich bringen.
2Bzw. sie sind nur Eränzungen der Standard-Elemente, wie z.B. die gemeinsame Overall Retrospective, die den Team-Retrospektiven folgt
3Die ausschliessliche Verwendung von LeSS ist aufgrund der Bekanntheit und des Status des offiziellen Scrum schwer umsetzbar
4Gemeint ist hier im Vergleich zum grösseren der beiden LeSS-Umfänge