Donnerstag, 26. Oktober 2017

Das Ende der Selbstorganisation

Bild: Wikimedia Commons / Famartin - CC BY-SA 4.0
Einer der zahlreichen heiligen Grale der Agilität ist die Selbstorganisation der Teams. Autonom, crossfunktional und empowered sollten sie sein, von niemandem gemicromanaged, lediglich von Servant Leadern umgeben und unterstützt. Nur wenn all das gegeben ist können sie zu schlagkräftigen und reaktionsschnellen High Performance-Units werden, ungebremst von Flaschenhälsen oder Handovers. Das stimmt in der Theorie und das stimmt auch in der Praxis, und doch - Selbstorganisation muss häufig Grenzen haben.

Man kann es am einfachsten an den Extremfällen sehen. Ein Team in einer Firma für Bürosoftware kann noch so selbstorganisiert sein, wenn es sich entscheiden würde statt eines Antivirus-Patch der Bürosoftware lieber Computerspiele zu programmieren würde das Management das zu Recht verhindern. Und ein Entwicklungsteam einer Bank kann noch so selbstorganisiert entscheiden, dass es seine Prozesse nicht mehr dokumentiert, die Bafin würde ungerührt untersagen, dass die so entstandene Software in Produktion geht.

Auch Grenzfälle sind bei genauerer Betrachtung offensichtlich: ein Team das die eigene Anwendung sowohl weiterentwickelt als auch wartet kann zwar selbstorganisiert entscheiden wann seine Mitglieder ihren Urlaub nehmen, es muss aber dafür sorgen, dass immer jemand da ist der die Live-Version am Laufen hält. Und ein Team das eine neue Software baut kann zwar wählen welche Programmiersprache es benutzt, das Unternehmen kann aber verlangen, dass es eine ist die auch ausserhalb des Teams verstanden wird.

Schwierig wird es schließlich wenn die Selbstorganisation mit Unternehmensgrundsätzen kollidiert. Darf ein Team für seine MVPs Quick & Dirty-Lösungen implementieren wenn das Unternehmen Clean Code will? Dürfen sich Entwickler selbstorganisiert zu Teams von über 20 Personen zusammenschliessen wenn das Unternehmen auf kleine Squads oder Scrum Teams setzt um agil zu bleiben? Spätestens hier heißt es oft: "Wenn Ihr das vorschreibt schafft Ihr die Selbstorganisation ab!" Aber ist das wirklich ein Argument?

In den meisten Fällen zeigt sich an solchen Situationen, dass nie daran gedacht wurde festzulegen bis wohin Selbstorganisation geht (dass es solche Grenzen gibt sieht man an den ersten Beispielen). Bei vielen agilen Transitionen heisst es einfach "Ab jetzt sind die Teams selbstorganisiert". Und wenn die im Rahmen ihrer Selbstorganisation auf eine Stelle stossen an der diese doch nicht gewünscht ist knallt es gelegentlich. Das muss nicht sein.

Es ist empfehlenswert, dass Management und Team gemeinsam (!) Grenzen festlegen bis zu denen die Autonomie reicht. Welche das sind kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein, sie sollten aber begründet und nachvollziehbar sein. Und es sollte auch jedem klar sein, dass diese Grenzen nicht unverrückbar sind sondern sich verschieben können. So kann etwa zu Beginn noch ein Architekt vorhanden sein, der sich irgendwann später selbst abschafft und in das Team geht.

Zuletzt kann jedes einzelne Teammitglied anhand dieser Grenzen entscheiden ob es sich hier noch richtig aufgehoben fühlt. Und wenn das nicht der Fall ist kann es mit den Füssen abstimmen und gehen, in ein anderes Team oder ein anderes Unternehmen.

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