Montag, 11. April 2016

Verwechselungsgefahr: Motivierte und frustrierte Entwickler

Bild: PDPics - CC0 1.0

Dass man in einem agilen Unternehmen Entscheidungen nur schwer gegen den Willen der Software-Entwickler umsetzen kann dürfte eine Binsenweisheit sein. In der Realität wird aber genau das immer wieder versucht, was oft daran liegt, dass dem Management der Widerstand in den Entwicklungsteams (oder das Ausmass dieses Widerstandes) gar nicht bewusst ist. Die Geschäftsführer/Abteilungsleiter/Bereichsleiter sind in solchen Fällen fest davon überzeugt, ihre Mitarbeiter eingebunden und mitgenommen zu haben und glauben auch, dass diese sich bereitwillig an den Entscheidungsprozessen beteiligt haben und deren Ergebnisse annehmen und akzeptieren. Diese Vorgesetzten fallen mitunter aus allen Wolken wenn ihnen irgendwann gesagt wird, dass ihre Teams sich in Wirklichkeit schon lange in innere Emigration und Entwickler-Zynismus ("Ich mache hier nur noch das was man mir sagt") verabschiedet haben.

Um zu erklären wie es zu diesen stark von der Realität abweichenden Einschätzungen kommt, kann man die Entwickler in zwei Personas einteilen: die Motivierten (die, die man gerne hätte, bzw. glaubt zu haben) und die Frustrierten (die die man oft in Wirklichkeit hat). Die einen fühlen sich wertgeschätzt, beteiligen sich und packen mit an, die anderen fühlen sich bevormundet, lehnen Änderungen ab und versuchen Dinge "auszusitzen".  Das Problem bei diesen beiden Typen: In Bezug auf die Akzeptanz von Entscheidungen und die Beteiligung an Entscheidungsfindungen unterscheiden sie sich zwar erheblich, von oben, bzw. von aussen kann man das aber nicht immer gut erkennen. Aus diesem Blickwinkel kann es sogar sein, dass sich überhaupt keine Unterschiede wahrnehmen lassen. Werfen wir einen genaueren Blick auf die beiden:
Man sieht - beide tun durchaus ähnliche Dinge, allerdings aus einer völlig unterschiedlichen Motivation heraus. Der Motivierte beteiligt sich an Change-Prozessen weil er einen Beitrag zur Verbesserung seines Unternehmens leisten will, der Frustrierte tut es um Schadensbegrenzung zu betreiben. Der Motivierte sieht in den Veränderungsergebnissen Leitlinien für sein Handeln, der Frustrierte tut zwar so, sieht in ihnen aber eher eine Liste der Punkte die er nicht verhindern konnte und um die er jetzt herumarbeiten muss. Der Motivierte stimmt Vereinbarungen zu weil er sie für sinnvoll hält, der Frustrierte tut es nur weil er glaubt, dass er sonst so lange in Meetings mit dem Management muss bis er seine Ablehnung aufgibt. Wenn man jetzt versucht, das Ganze aus der von aussen kommenden Position des Managements zu sehen, wird das Problem offensichtlich: beide wirken gleich. Beide beteiligen sich, beide stimmen den Ergebnissen zu, beide melden keine Bedenken an. Aus Management-Sicht sind beides motivierte Mitarbeiter. Die Fehlwahrnehmung ist entstanden.

Interessant ist im Folgenden die Reaktion des Managements auf eine Aufdeckung dieser Fehlwahrnehmung. Bei Variante A, in der frustrierte Entwickler fälschlicherweise für motiviert gehalten wurden, ist es sehr häufig Verleugnung ("Das kann nicht sein, wenn die so denken würden, dann würden die es mir sagen"). Das ist in der Regel ein Indikator dafür, dass der Manager an seiner Selbstwahrnehmung arbeiten sollte - er muss erkennen, dass er nicht der Freund und/oder Vertraute seiner Mitarbeiter ist für den er sich selber gehalten hat, sondern dass er von ihnen mit Distanz betrachtet wird und nur vorsichtig gefiltertes Feedback erhält. Ebenfalls häufig ist Relativierung, etwa indem behauptet wird, die Mitarbeiterhätten nicht die notwendigen Informationen und das notwendige Verständnis, weshalb sie die Situation gar nicht richtig beurteilen könnten. Auch das ist aber in der Regel ein Indikator für Management-Antipattern, etwa für eine verfehlte Informationspolitik oder für ein merkwürdiges Menschenbild.

Auch eine Variante B existiert übrigens, die sogar besonders tragisch ist: in ihr sind die Entwickler motiviert und bringen sich ein, dass Management geht aber davon aus, dass das nur die Fassade für ein frustrationsgetriebenes Aussitzen und ins Leere laufen lassen sein kann. Da sich das in misstrauischem und kontrollierendem Verhalten niederschlägt ist es eine selbsterfüllende Prophezeihung - es ist nur eine Frage der Zeit bis die Teams tatsächlich frustriert sind.

Zuletzt ist natürlich auch eine positive Wendung möglich: das Management realisiert seine Fehlwahrnehmung, erkennt das Problem (auch) bei sich und arbeitet an einer Anpassung und Verbesserung des eigenen Verhaltens. Das erfordert allerdings zwei der größten Kuststücke die eine Führungsposition vollbringen kann - das Eingeständnis sich geirrt zu haben und den Sprung über den eigenen Schatten. Dafür ist bei Gelingen der Applaus sicher.

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