Montag, 15. Februar 2021

Warum Agilität keine Management-Mode ist

Bild: Pexels / The Lazy Artist - Lizenz

Zu den Kuriositäten die einem Agile Coach immer wieder begegnen gehört die erstaunlich weit verbreitete Ansicht, dass die agilen Vorgehensmodelle nur eine Management-Mode wären. Und ähnlich wie vorher bei [hier beliebige andere Methodik einsetzen] wäre es nur eine Frage der Zeit bis sie durch die nächsten Moden abgelöst würden. Nun ja. Kann man so sehen, muss man aber nicht.


Um das Offensichtlichste zu nennen: mit einer mehr als zwanzigjährigen Geschichte seit dem Manifest für agile Softwareentwicklung (und einer nochmal dazukommenden Vorgeschichte) reden wir mittlerweile von mehr als dreissig Jahren ununterbrochen zunehmender Verbreitung und Popularität. Was sich über so lange Zeit hält kann man kaum noch als Mode bezeichnen, eher wäre es angemessen von etablierten und gefestigten Arbeitsweisen zu sprechen.


Und selbst wenn es so sein sollte, dass eine dreissigjährige Phase eine (dann sehr langlebige) Mode darstellt, zu einer Management-Mode würde es dadurch noch lange nicht. Denn selbst wenn Manager aus vielen verschiedenen Bereichen heute gut damit beraten sind sich mit diesem Thema zu beschäftigen - in ihrem Ursprung und in weiten Teilen ihrer Umsetzung haben die agilen Vorgehensmodelle wenig mit den Management-Ebenen zu tun.


Ein Grund dafür ist, dass die agilen Arbeitsweisen initial nicht konzipiert worden sind um Unternehmen zu lenken sondern von Praktikern der unteren Hierarchiestufen entwickelt wurden um die tägliche Arbeit von Umsetzungsteams einfacher zu machen. Als sich daraus dann trotzdem hierarchie- und organisations-übergreifende Ansätze entwickelten war der erste Reflex vieler oberen Ebenen diese "da unten" entstandenen Ideen als unqualifiziert abzulehnen.

 

Zur Verdeutlichung ein Ausschnitt aus dem höchst lesenswerten Artikel For Agile, It's The Best And The Worst Of Times des Wirtschafts-Journalisten Steve Denning (Forbes Magazine):

For instance, in 2014, when I attended the Drucker Forum for the first time, I was met with deep skepticism. Agile might be fine, I was told by the world’s leading management experts, for those unkempt, disrespectful software developers dwelling in the basement, or for tiny startups. But if we had learned one thing about the management through the millennia, from the great armies of Julius Caesar onwards, it was that big organizations - organizations with tens of thousands of people - could only be managed by top-down discipline. Otherwise: chaos.

Laut Dennings Analyse hat es bis ca 2016 gedauert bis sich diese Aussagen geändert haben. Für ihn hat die Agile Bewegung bis zu diesem Zeitpunkt "ein Leben in den Schatten" geführt, das obere Hierarchie-Ebenen trotz bereits erkennbarer Erfolge nur mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Abscheu betrachteten.


In dieser Haltung kann man eine narzisstische Kränkung erkennen: dass ein Nicht-Manager eine besser funktionierende Methode der Unternehmensführung entwickeln könnte als ein Angehöriger des Managements hätte in den Augen vieler Betroffener deren Position und Selbstverständnis so unterminiert, dass allein schon die Möglichkeit negiert wurde (btw: ironischerweise gibt es ähnliche Vorbehalte gegen agiles Arbeiten mittlerweile auch bei Software-Entwicklern). Und es geht noch weiter.


Ein weiterer sich aus seiner Entstehung herleitender Grund dafür, dass Agile kein von oben vorgegebener Hype sein kann ist dessen tiefe Verwurzelung in flachen Hierarchien und "handwerklichen Prinzipien". Ob es die über Arbeitsprozesse entscheidenden Retrospektiven der Umsetzungsteams sind (an denen Aussenstehende in der Regel nicht teilnehmen dürfen) oder Praktiken wie Pair Programming, Code Reviews oder automatisierte Deployments - Manager sind an vielen Aspekten gar nicht beteiligt.


Aufgrund dieser starken Verankerung "ausserhalb der Management-Reichweite" wird auch die typische Umsetzungsform unmöglich, mit der sonst das jeweils aktuelle Trend-Vorgehen implementiert wird. Massenveranstaltungen mit Tschakka!-Vorträgen und in Wellen durchgeführte Schulungen aller Mitarbeiter kann man zwar auch in agilen Transitionen versuchen, die angestrebten Änderungen an Verhaltensmustern und Umsetzungsdetails erreicht man so aber nur selten.


Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: das alles heisst nicht, dass das Thema der Agilität für obere Hierarchiestufen unzugänglich wäre. Im Gegenteil, auch dort gewinnt es mehr und mehr Anhänger. Klar ist aber auch - durch ihre "Entstehung im Schatten" und ihre starke Verwurzelung in der Umsetzungs-Ebene ist die Agile Bewegung zu grossen Teilen unterhalb der Management-Ebene angesiedelt, wodurch es per Definition unmöglich ist, dass es sich bei ihr um eine Management-Mode handelt.



Nachtrag:

Um auf mehrfaches Feedback einzugehen: Ich weiss nicht ob ich unklar formuliere, anscheinend ja. Nur weil ich sage, dass Agilität keine Management-Mode ist bedeutet das nicht, dass dieser Ansatz meiner Meinung nach für immer die Welt regieren wird. Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. Siehe auch hier.

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