Montag, 18. Oktober 2021

Rage against the Machine

Bild: Wikimedia Commons / Eneas de la troya - CC BY 2.0

Zu dem "Food for Thought" das ich mir in letzter Zeit zugeführt habe gehört auch "Haben wir einen Konflikt oder hat der Konflikt uns?" von Markus Ingendahl. Aufbauend auf den Erkenntnissen des Konfliktforschers Friedrich Glasl fasst Markus in ihm zusammen wie Konflikte entstehen und eskalieren können. Alleine für sich genommen ist das bereits lesenswert, ich möchte es aber um einige weiterführende Gedanken ergänzen.


Zunächst zur Ausgangslage: laut Glasl entsteht ein Konflikt zunächst durch die individuell verschiedenen Wahrnehmungen von Beschaffenheit, Auswirkungen oder Bewertung eines Sachverhalts. Das liesse sich meistens noch auflösen, kann aber dadurch eskalieren, dass die Wahrnehmung der jeweils anderen Partei sich durch den Konflikt verändert: ihr werden negativ überzeichnete Motive und Charakterzüge zugeschrieben, wodurch der Umgang schärfer und die Konfliktlösung schwieriger wird.


Das alles ist zutreffend und kann jeden Tag zigfach beobachtet werden (mitunter am eigenen Beispiel), es gibt aber eine spezielle Kategorie von Konfliktfällen von denen ich glaube, dass man um sie zu verstehen über die gerade genannten Betrachtungen hinausdenken muss. Es handelt sich bei dieser Kategorie um Konflikte in grossen, formalen Organisationen. Sie nehmen häufig eine ungewöhnlich einseitige Form an, die in den meisten Definitionen übersehen wird.


Zum besseren Verständnis nochmal zur Konflikt-Eskalation bei Markus (bzw. bei Glasl). Was bei genauerer Betrachtung auffällt ist, dass sie durch eine Interaktion der beteiligten Parteien entsteht. Nicht nur wird die Gegenseite zunehmend dämonisiert, dadurch verändert sich auch das eigene Verhalten ihr gegenüber ins Negative, was wiederum die eigene Dämonisierung durch die Gegenseite befördert. Auf diese Weise schaukelt der Konflikt sich gegenseitig hoch.


Abweichend davon kann es in Grossorganisationen zu Konflikten kommen die nicht interaktiv sind. Das kann beispielsweise der Fall sein wenn durch gut gemeinte neue Vorschriften (oder deren Bürokratisierung durch Konzern-Trolle) die Arbeit auf den unteren Hierarchieebenen umständlicher, langwieriger oder anstrengender wird. Meistens ist ein zunehmend wütendes Protestieren der Betroffenen die Folge - wovon das Management aber erstaunlich oft gar nichts mitbekommt.


Die Gründe dafür können unterschiedlich sein. In vielen traditionellen Organisationen ist Unternehmenskommunikation eine Einbahnstrasse von oben nach unten, in anderen sind die höheren Hierarchie-Ebenen so überlastet, dass sie keine Zeit haben sich die Rückmeldungen anzuhören, in wieder anderen führt eine verbreitete Untertanenkultur zu der Annahme, dass dem Management alle Missstände bereits bekannt sein müssen, weshalb es sich erübrigt sie anzusprechen.


Wenn die oberen Hierarchie-Ebenen jetzt nicht auf die Missstände reagieren (was sie wie gesagt in dieser Konstellation nicht können, da sie ihnen nicht bewusst sind) kann das von den unteren Ebenen als Lösungs- oder Kommunikationsverweigerung wahrgenommen werden. Ist das der Fall greifen die oben erwähnten Eskalationsmechanismen wieder: "die da oben" werden zunehmend dämonisiert und ihnen werden zunehmend negative Beweggründe unterstellt. Es entsteht "Wut auf das System".


Im Extremfall kann das sogar dazu führen, dass weitere Verstärkereffekte entstehen: sobald diese "einseitige Eskalationsspirale" dazu führt, dass "die da unten" von aussen als zunehmend irrational wahrgenommen werden kann es dazu kommen, dass die Entscheidungsträger durch Vorzimmer, Mittelmanager, etc. nach unten abgeschirmt werden, da diese nicht mehr glauben, dass es in Begegnungen rational zugehen würde. Aus der gefühlten wird so eine reale Kommunikationsblockade.


Für eine Befreiung aus dieser speziellen Konfliktsituation ist es wichtig zu verstehen, dass sie systemisch entstanden ist und nur systemisch gelöst werden kann. Ein auf einzelne Personen oder Gruppen zielendes Konflikt- oder Anger-Management-Training bringt hier z.B. nur eingeschränkt weiter, stattdessen muss herausgearbeitet werden wo Feedback-Schleifen fehlen oder beschädigt sind und wie dadurch Frustrationserlebnisse entstehen. Basierend darauf kann man das System anpassen.


Das heisst leider nicht, dass es danach keine Konflikte mehr gibt, so schön es auch wäre. Es heisst aber, dass jetzt wieder eine Situation hergestellt ist in der man Konfliktdynamiken mit Hilfe der Erkenntnisse von Friedrich Glasl analysieren und auflösen kann. Das allein ist schon viel.

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