Donnerstag, 28. Oktober 2021

Lebendiges und totes Holz

Bild: Wikimedia Commons / Klausrxt - CC BY-SA 4.0

"Verhältnisse sind wichtiger als Verhalten", lautet eine alte Soziologenweisheit, die in grossen Change-Projekten leider noch zu selten beachtet wird. Zu oft wird hier in erster Linie versucht die Menschen (bzw. ihre Kultur oder ihr Mindset) zu verändern, ohne zu bedenken, dass diese vor allem durch das sie umgebende System beeinflusst und geprägt werden. Zum Glück gibt es gute Sinnbilder um diesen Fehlschluss zu verdeutlichen, darunter ein besonders einprägsames - das vom lebendigen und toten Holz.


Sehr oft wird es W. Edwards Deming zugeschrieben, einem der Vor-Väter des Lean Management, tatsächlich kommt es aber lediglich aus seiner näheren Umgebung. Der Urheber ist Peter Scholtes, ein anderer amerikanischer Management-Theoretiker, der es zu einem nicht mehr rekonstruierbaren Zeitpunkt prägte und schliesslich in seinem 1997 erschienenen Management-Ratgeber "The Leaders's Handbook" veröffentlichte.


The common objection to seniority pay is, “It’s rewarding dead wood!” My response is, “Why do you hire dead wood? Or why do you hire live wood and kill it?

Peter Scholtes, The Leaders's Handbook, S.331


Zuerst zur Übersetzung des zentralen Begriffs. Totes Holz (Dead Wood) ist ein englischer Management-Slangbegriff für Menschen die es aufgegeben haben mitzudenken, proaktiv zu handeln, Probleme anzusprechen und Lösungen vorzuschlagen. Er bildet ein Gegensatzpaar mit dem lebendigen Holz (Live Wood), das diejenigen Menschen symbolisiert denen all das noch zu eigen ist. Eine Belegschaft aus totem Holz zu haben gehört zu den häufigen Beschwerden in schlecht laufenden Firmen.


Was Scholtes damals mit seinem Ausspruch verdeutlichen wollte ist Folgendes: wenn in einer Firma der Fall eingetreten ist, dass praktisch alle Mitarbeiter die eine gewisse Betriebszugehörigkeitsdauer überschritten haben (d.h. Seniorität erreicht haben) in die Totholz-Kategorie fallen, dann ist das nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung eine Aussage über die Angestellten. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass das soziale System (die Firma) die Stelle ist an der die Probleme liegen.


Das Vorhandensein von Totem Holz lässt sich auf nur zwei mögliche Entstehungsursachen zurückführen. Entweder sind in grossem Ausmass Mitarbeiter eingestellt worden die von Beginn an passiv, uninteressiert oder unverständig waren. In diesem Fall ist offensichtlich der Rekrutierungsprozess schlecht gestaltet worden, schliesslich hat er die unpassenden Kandidaten entweder nicht erkannt oder nicht aussortiert. Und das in noch der positivere Fall.


Im schlimmeren Fall haben die neuen Mitarbeiter ursprünglich alle der Kategorie des lebenden Holzes angehört, waren also aufmerksam, lösungsorientiert und von hoher Auffassungsgabe. Wenn diese Menschen aber nach einer gewissen Zeit die Charakterzüge toten Holzes aufweisen, dann kann das nur eines bedeuten - sie wurden im Unternehmen umgewandelt, dort muss es also Faktoren geben die Eigeninitiative, Neugier und Wissensdrang abtöten.


In beiden Fällen (und auch in dem nicht unwahrscheinlichen Fall, dass ein Mischtyp aus beiden vorhanden ist) wäre es kurzsichtig und vermutlich nicht von nachhaltigem Erfolg gekrönt lediglich direkt auf die Angestellten einzuwirken um ihr Verhalten, bzw. ihre Kultur oder ihr Mindset zu ändern. Die Rahmenbedingungen die sie geprägt haben blieben bei diesem Vorgehen schliesslich bestehen und würden weiter ihre Wirkung entfalten.


Sinnvoller und wirksamer wäre es am System zu arbeiten, also zu überprüfen an welcher Stelle Motivatoren und Demotivatoren oder Belohnungen und Bestrafungen die Ursache für eine Verhaltensänderung in die eigentlich nicht gewünschte Richtung sind - oder ob es nicht sogar bewusst oder unbewusst gefordert und gefördert wird, dass die Menschen eine hinnehmende und nicht hinterfragende Haltung annehmen.


Sind diese Stellen identifiziert können sie nach und nach so umgestaltet werden, dass sie den Angestellten Anreize geben kreative, konstruktiv-kritische, und partizipative Haltungen zu entwickeln. Das ist keineswegs einfach und kann den Systemverantwortlichen einiges abverlangen (siehe hier, hier und hier), es ist aber in der Regel der deutlich erfolgsversprechendere Ansatz, zumindest wenn eher nachhaltige als (scheinbar) schnelle Verbesserungen angestrebt werden.


Das Sinnbild des lebendigen und toten Holzes entfaltet hier eine weitere Dimension: Organisationsentwicklung kann man auch so sehen wie Garten- und Landschaftsbau. In ihm entstehen gesunde Gehölze nicht durch Herumdoktorn an einzelnen Pflanzen sondern durch die Schaffung eines wachstumsfördernden Mirkroklimas. Die Parallelen zu sozialen Organisationen sind offensichtlich.

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