Montag, 24. Oktober 2022

Kulturelles Kapital

Bild: Pexels / Fauxels - Lizenz

Noch einmal zum Thema der Organisations-, bzw. Unternehmens-Kultur. Dass es sich bei ihr um die Gesamtmenge verschiedener Glaubenssätze, Handlungsmaximen, Artefakte und weiterer Bestandteile handelt habe ich bereits aufgeschrieben, heute soll es um eine Vertiefung gehen. Konkret um das Konzept des kulturellen Kapitals, das davon ausgeht, dass Kultur ein Mittel sein kann, das sich erarbeiten und gewinnbringend einsetzen lässt.


Zum ersten Mal formuliert wurde diese Idee 1983 im Aufsatz Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital vom französischen Soziologen Pierre Bordieu, der mit ihr versuchte die Analyse wirtschaftlicher Zusammenhänge auch auf das Thema Kultur anwendbar zu machen. Er übertrug dazu die Idee des wirtschaftlichen Kapitals, also der Ressourcen, die den Menschen für die Verfolgung ihrer Ziele zur Verfügung stehen.


Für Bordieu kommt kulturelles Kapital in drei Zuständen vor: inkorporiertem Zustand, d.h. in den Gehirnen der Menschen, in objektiviertem Zustand, z.B. in Büchern, Maschinen, oder Computerprogrammen, in denen kulturelle Praktiken Spuren hinterlassen haben, und schließlich in institutionalisiertem Zustand, also in Strukturen oder Prozessen, in deren Gestaltung oder Umsetzung sich kulturelle Besonderheiten erkennen lassen.


Egal in welcher dieser drei Formen, kulturelles Kapital entsteht zunächst durch menschliche Tätigkeiten, etwa durch Lernen, Interaktion, Sozialisation, Akkulturation oder das Einarbeiten kultureller Besonderheiten in Arbeitsergebnisse. In allen Fällen kommt es aber im Anschluss zu einer Verstetigung und Sichtbarmachung (z.B. durch bestimmte Begriffsverwendungen), durch welche die Zugehörigkeit der Menschen, Werke und Institutionen zur jeweilen Kultur erkennbar werden.


Sobald das passiert ist entsteht auch eine soziale Auswirkung: andere Angehörige der jeweiligen Kultur erkennen die verbindenden Gemeinsamkeiten. Basierend darauf entstehendt bei ihnen ein Gefühl der Gemeinschaft und Gemeinsamkeit, das zur Folge hat, dass diesen Menschen, Werken und Institutionen bereits im Voraus ein höheres Mass an Anerkennung, Vertrauen und Unterstützung gewährt wird als anderen, die nicht der gleichen Kultur zugehörig sind.


Der Aufwand der in die Erzeugung von kulturellem Kapital geflossen ist zahlt sich in der Folge aus, da der Vorschuss an Anerkennung, Vertrauen und Unterstützung dazu führt, dass geringere Aufwände in Erklärungen, Einbeziehungen, Überzeugungsversuche und weitere Tätigkeiten zur Gewinnung von Vertrauen und Unterstützung inverstiert werden müssen. Auch die Wahrscheinlichkeit von verdecken Widerständen und dadurch verursachten Effizienzverlusten geht zurück.


Wichtig ist für Bordieu aber, dass der Aufbau dieses Kapitals nicht erst dann beginnen darf wenn man seine positiven Auswirkungen benötigt. Da in der bis dahin vergangenen Zeit Aspekte einer anderen Kultur die Aussenwahrnehmung dominieren würden (irgendeine Form von Kultur ist immer da) wäre die Folge, dass ein paradoxer, d.h. in sich widersprüchlicher Eindruck entstehen würde, der eine eher verunsichernde und Ablehnung erzeugende Wirkung hätte.


Es gibt aber auch solche [Güter], die nur aufgrund eines sozialen Beziehungs- oder Verpflichtungskapitals erworben werden können. Derartige Beziehungen oder Verpflichtungen können nur dann kurzfristig, zum richtigen Zeitpunkt, eingesetzt werden, wenn sie bereits seit langem etabliert und lebendig gehalten worden sind, als seien sie ein Selbstzweck. Dies muß außerhalb der Zeit ihrer Nutzung geschehen sein, also um den Preis einer Investition von Beziehungsarbeit, die notwendigerweise langfristig angelegt sein muss.


Am Ende ist es auch das worauf es ankommt wenn an Organisations- oder Firmenkultur gearbeitet werden soll. Wenn dafür gedachte Aufwände freigegeben werden, muss allen Beteiligten bewusst sein, dass dahinter ein Business Case steckt, dass der aber ein eher langfristiger ist, der auch langfristige kontinuierliche Inverstitionen erfordert. Sind die gegeben kann kulturelles Kapital aufgebaut werden und zum Erfolg beitragen. Wenn nicht - dann nicht.

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