Donnerstag, 6. Juli 2023

Near Miss in SAFe

Bild: Pixabay / Tookapic - Lizenz

Für alle agilen Frameworks gilt grundsätzlich, dass sie für sich genommen nicht gut oder schlecht sind, sondern Werkzeuge. Wie sie eingesetzt werden hängt stark vom Benutzer ab. Es gibt allerdings Unterschiede: Scrum mit seinem Sprint-Rhythmus könnte ein Hammer sein, Kanban mit seiner langsamen Verbesserung eine Feile. Und SAFe? Wenn wir in derartigen Analogien verbleiben wollen passt eine besonders gut - SAFe ist eine Motorsäge.


Um diese Gleichsetzung plastischer werden zu lassen: Motorsägen sind kraftvolle Geräte, mit denen man umfangreiche Arbeiten stark vereinfachen und beschleunigen kann, etwa das Baumfällen. Richtig eingesetzt können sie aber auch filigrane und fragile Ergebnisse erzeugen, z.B. Eis-Skulpturen. Was aber jedem bewusst sein muss - ca. 90 Prozent der Menschheit sollten besser keine Motorsägen bekommen, das Risiko von Unfällen wäre viel zu gross.


Warum das eine passende Analogie auf SAFe ist, dürfte klar sein. Mit dieser Methode lassen sich gut Vorhaben organisieren, die für einzelne Scrum Teams zu klein wären - und die Ergebnisse können durchaus agil sein. Da es aber sehr einfach ist, die SAFe-Regeln versehentlich oder absichlich für Hierarchie-Aufbau, Langfrist-Planung und Gross-Releases einzusetzen, ist die "Unfallwahrscheinlichkeit" sehr hoch, wenn die Beteiligten nicht genau wissen wie Agilität funktioniert.


Für den Fall, dass solche Leute nicht verfügbar sind, SAFe aber trotzdem vorgegeben ist (warum auch immer), zeigt die Werkzeug-Analogie sogar einen Lösungsweg auf: in praktisch alles Firmen, in denen mit tendenziell gefährlichen Werkzeugen und Maschinen gearbeitet wird, gibt es regelmässige (Re)Sensibilisierungsprogramme, mit denen Unfällen vorgebeugt werden soll. Eines der bekanntesten unter ihnen ist der so genannte "Near Miss".


In Near Miss-Programmen werden Mitarbeiter regelmässig (z.B. einmal pro Monat oder Quartal) aufgefordert nachzudenken, wo es zu Unfällen hätte kommen können (Near Miss bedeutet Knapp verfehlt), wie diese Situationen entstanden sind und wie man versuchen kann zu verhindern, dass sie sich nochmal ergeben. Über die individuelle Verbesserung hinaus kann man dabei durch Aggregation der Ergebnisse auch auf verbreitete Probleme und Risiken aufmerksam werden.


Auf SAFe übertragen bedeutet dass, dass regelmässig darüber reflektiert werden sollte, wo in der letzten Zeit die angestrebten kurzen Entscheidungswege, schnellen Feedback-Schleifen und häufigen Mehrwert-Auslieferungen eher behindert als befördert wurden. Ein naheliegender Zeitpunkt dafür wären die Inspect & Adapt-Events am Ende jedes PI-Zyklus, in die man das Thema als kontinuierlich wiederkehrenden Punkt integrieren könnte.


Natürlich setzt all das voraus, dass Hierarchie-Aufbau, Langfrist-Planung und Gross-Releases im Rahmen der jeweiligen SAFe-Implementierung auch tatsächlich nicht angestrebt werden. Dort wo das offen oder verdeckt doch der Fall ist, wird eine Near Miss-Routine keine Wirkung entfalten. Allerdings ist sie dann auch nicht das wichtigste Thema an dem gearbeitet werden sollte.

Related Articles