Montag, 20. November 2023

Tech Lead Manager

Bild: Pexels / Ketut Subiyanto - Lizenz

Zu den Überraschungen, die man in grossen Firmen aus dem Silicon Valley erleben kann, gehört die fast vollständige Abwesenheit von Scrum Mastern, Agile Coaches, People Managern und vergleichbaren Rollen. Das erscheint zunächst merkwürdig, schliesslich gelten Google, Facebook, Netflix & Co doch als Vorzeige-Beispiele gelungener Agilität. Und es wirft die Frage auf, welche Führungsrollen es dort stattdessen gibt. Eine auf die man dabei immer wieder stösst, ist die des "Tech Lead Managers" (TLM).


Um diese Rolle einordnen zu können: die klassische Silicon Valley-Rollenteilung ist die in Engineering Manager und Tech Lead.1 Den Engineering Manager kann man sich dabei wie eine Mischung aus Abteilungs-Leiter und Product Owner vorstellen, mit der Besonderheit, dass er selbst einmal Softwareentwickler gewesen sein muss.2 Der Tech Lead oder Lead Developer ist ein teaminterner oder -externer Experte, der den Entwicklern Entwicklungsprozesse und -standards vorgibt.


Beide Rollen haben im Vergleich zu einem Scrum Master, Product Ower, Agile Coach oder People Manager eine relativ hohe Weisungsbefugnis gegenüber ihren Teammitgliedern. Der Grund dafür sind zwei weitere Besonderheiten: die Entwickler sind im Durchschnitt eher jung, und sie wechseln verhältnismässig häufig (mitunter jährlich) den Job. Beides liegt daran, dass für viele das stressige Silicon Valley nur ein "Karriere-Sprungbrett" ist, mit dem sie sich für andere Firmen empfehlen.3


Bedingt dadurch sind viele Teams eher unerfahren und befinden sich in einer permanenten Storming-Phase, was durch die eher anleitende Ausgestaltung der Rollen kompensiert werden soll. Das kann auch funktionieren, bringt aber das Risiko mit sich, dass die beiden leitenden Rollen sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen gegenseitig blockieren. Dort wo Geschwindigkeit wichtig ist, werden sie daher oft zum Tech Lead Manager zusammengefasst, der alle Entscheidungen alleine treffen kann.


Im Vergleich zu den aus dem Osten der USA stammenden Ansätzen Scrum und Extreme Programming mag das auf den ersten Blick wenig agil wirken, da diese Rolle die Selbstorganisation der Teams stark einschränken kann. Wird Agilität aber einfach als schnelle Reaktions- und Lieferfähigkeit verstanden, kann dieser eher hierarchische Ansatz in derartig volatilen Teams der zielführendere sein (was übrigens nicht bedeutet, dass hier Micro-Managing stattfindet, das wäre nochmal etwas Anderes).


Zu bedenken ist dabei allerdings, dass diese Doppelrolle für ihren Inhaber sehr fordernd und belastend sein kann, was auf Dauer zu neuen Problemen führt. Aufgrunddessen ist es z.B. bei Google so, dass sie vor allem in kleinen, neu zusammengestellten, oder in instabilen Umgebungen arbeitenden Teams geschaffen wird, während stabiliere oder erfahrenere Teams eher wieder die klassische Doppelspitze aus Engineering Manager und Tech Lead haben (siehe hier).


Was erkennbar wird: die Rolle des Tech Lead Manager kann durchaus entscheidend für einen agilen Arbeitsmodus sein, sie ist aber so spezifisch für das Silicon Valley, dass sie nur schwer übertragbar ist. Man kann sie zwar auch in Europa oder an der US-Ostküste einführen, hier würde aber das starke Risiko bestehen, dass sie zu einem Flaschenhals wird und das in den Teams vorhandene Wissen nicht ausreichend nutzt, und infolgedessen eine eher anti-agile Wirkung hätte.



1Natürlich gibt es von diesen Rollen zahllose Benennungs- und Ausgestaltungs-Varianten
2Wodurch verhindert werden soll, dass er fachlich richtige aber technisch fragwürdige Entscheidungen trifft
3Für eine bessere Vorstellung von dieser Arbeitswelt empfehle ich das Buch Chaos Monkeys von Antonio García Martínez

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