Montag, 25. August 2025

Additive und subtraktive Veränderung

Manche Dinge ändern sich über die Zeit erstaunlich wenig. Vor genau 10 Jahren habe ich darüber geschrieben, dass (vor allem grosse) Unternehmen Prozessverbesserungen in erster Linie dadurch angehen, dass sie ihnen neue Regeln, Rollen und Liefergegenstände hinzufügen wollen - in vielen Fällen mit dem Ergebnis, dass sich alles eher verschlechtert als verbessert. Dieses kuriose Verhalten lässt sich nahezu überall beobachten - und mittlerweile auch erklären.


Im Artikel People systematically overlook subtractive changes veröffentlicht 2024 im Nature-Magazin haben die schwedischen und amerikanischen Wissenschaftler Joshua Juvrud, Laurence Myers und Pär Nyström  das Phänomen beschrieben, dass die meisten Menschen Verbesserungen vor allem durch das Hinzufügen von etwas (additive Veränderung) bewirken wollen, selbst wenn das Weglassen von etwas (subtraktive Veränderung) zu deutlich besseren Ergebnisse führen würde.


Dabei beobachteten die erwähnten Forscher in ihren Untersuchungen nicht etwa, dass subtraktive Veränderungen kategorisch ausgeschlossen wurden. Vielmehr war es so, dass additive Veränderung den meisten untersuchten Menschen als die spontan naheliegendere Option erschien und unreflektiert gewählt wurde, während subtraktive Veränderung erst dann erwogen wurde, wenn additive Veränderungen ergebnislos, unmöglich oder offensichtlich unsinnig waren.


Dieses grundlegende Vernachlässigen subtraktiver Veränderungen (das so genannte Subtraction Neglect) war dabei abhängig von unterschiedlichen Faktoren unterschiedlich stark ausgeprägt. Zu ihnen gehörten neben der Art der Aufgabe auch Alter, sozialer Hintergrund und nationale, bzw. kulturelle Zugehörigkeit. Die zentrale Erkenntnis hierbei war, dass der Subtraction Neglect wenn nicht sogar durch Sozialisation erworben, dann zumindest deutlich von ihr geprägt ist.


Und das bringt uns zurück zu den grossen Organisationen, die ihre Prozesse durch ständiges Hinzufügen weiterer Regeln, Rollen und Liefergegenstände immer stärker überladen und sie so verschlechtern, statt sie zu verbessern. Ausgehend von der erwähnten Forschung kann zunächst mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass das in weiten Teilen auf das Phänomen des Subtraction Neglect zurückzuführen ist, es also unbewusste Ursachen hat.


Gleichzeitig ermöglicht die Beeinflussung der Subtraction Neglect durch soziale Prägung aber auch ein Gegensteuern. Alleine das Bewusstmachen der subtraktiven Veränderung als möglicher Massnahme kann bereits zu einer besseren Optionenabwägung führen und eine Empfehlung sie anzuwenden kann das nochmal verstärken. Und wird dadurch sogar noch ein Erfolg erzielt, kann sich sogar die Grundeinstellung ändern, auch das geht aus der erwähnten Forschung hervor.

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