Donnerstag, 11. Juli 2019

Agile Bauprojekte


"Jaa, in der Software-Entwicklung, da mag das gehen. Aber in anderen Branchen ist Agilität nicht anwendbar, da passt Wasserfall viel besser!" Derartige Aussagen darf sich so ziemlich jeder Agile Coach regelmässig anhören. Und selbst wenn es mittlerweile zahlreiche andere Anwendungsbeispiele gibt, vom Flugzeugbau über den Krankenhausbetrieb bis zum Schul-Unterricht, ein letzter Rückzugsort bleibt allen Skeptikern: "Aber in der Baubranche, da geht das nicht! Agile Bauprojekte sind unmöglich!" Aber sind sie das wirklich?

Tatsächlich gibt es Bauprojekte in denen Inspect & Adapt nicht nur ausprobiert wird sondern die ohne dieses Vorgehen sogar undenkbar wären. Die klassischen Voraussetzungen für agiles Arbeiten treffen bei ihnen zu - Komplexität, Unberechenbarkeit und Änderungsanfälligkeit. Und es handelt sich dabei keineswegs um verstreute Einzelfälle sondern um solche die regelmässig vorkommen. Um ein häufiges Beispiel zu nennen: die Sanierung von Altbauten. 

Vor dem Hintergrund des steigenden Wohnungsbedarfs in den grossen Städten werden zur Zeit viele der Gründerzeit-Gebäude aus der vorletzten Jahrhundertwende renoviert oder umgebaut, wobei es zu zahlreichen ungeplanten Hindernissen kommen kann: Leitungen verlaufen anders als in den veralteten Plänen eingezeichnet, Rohre sind marode, in den Wänden werden Stahlträger entdeckt, auszutauschende Metallgitter sind tief im Mauerwerk verankert, Stuckverzierungen erweisen sich als denkmalgeschützt.

Die ursprünglichen Pläne einzuhalten ist nach Entdeckung derartiger Hindernisse schwierig bis unmöglich. Sei es, dass die ursprünglich vorgesehenen Umbauten jetzt zu langfristig geworden sind, zu teuer oder wegen Statik und Denkmalschutz nicht zulässig -  es geht gar nicht anders als Änderungen an ihnen vorzunehmen. Und da vieles erst im Rahmen laufender Bauarbeiten offensichtlich wird bedeutet das auch, dass Pläne geändert werden müssen während bereits mit ihrer Umsetzung begonnen wurde.

Sogar ein iterativ-incrementelles Vorgehen ist in derartigen Zusammenhängen häufig anzutreffen. Auf jeden Umbau eines Flügels, Stockwerks oder Zimmers folgt jeweils eine kurze, auf den im Umbau gewonnenen Erkenntnissen beruhende Aktualisierung der Statik-, Elektronik- oder Leitungspläne sowie ein Anpassen des Plans für die nächste Bauphase. In vielen Fällen sind diese Iterations-Zyklen sogar kürzer als ein Monat, so dass man das Bauprojekt sogar nach Scrum organisieren könnte.

Natürlich heisst das nicht, dass Agilität in allen Bauvorhaben Sinn machen würde, in vielen Fällen sind andere Ansätze besser geeignet. Aber um zum Anfang zurückzukommen: dass Agil und Bauen grundsätzlich nicht zusammenpassen ist ganz sicher falsch.

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