Montag, 8. August 2016

Konzern-Trolle

Bild: Flick/Jared - CC BY 2.0
Eine kleine Geschichte aus einer großen Firma: Ein Entwicklungteam kommt eines Morgens zur Arbeit und erkennt das eigene Büro nicht wieder: Sprint Board, Product Backlog, Burndown Chart, Velocity Chart und Impediment Backlog sind verschwunden, abgehängt von der Betriebsfeuerwehr wegen Verstoß gegen die Brandschutzvorschriften. Alle Proteste helfen nichts, Papierwände sind nicht erlaubt.

Eine zweite Geschichte aus einer großen Firma: Mitten im Sprint taucht ein Compliance Manager im Teamraum auf und fordert, dass ab sofort keine Daily Standups mehr durchgeführt werden. Zu berichten, was man gestern gemacht hat, würde der Betriebsvereinbarung widersprechen, die eine Erfassung der Arbeitsleistung auf Personenebene verbietet. Als darauf hingewiesen wird, dass Scrum dann nicht mehr funktioniert, sorgt der Manager dafür, dass diese Methode ganz verboten wird.

Eine dritte Geschichte aus einer großen Firma: Nach dem Inkrafttreten einer neuen Sicherheitsrichtlinie darf ein Scrum Team nicht mehr in einem Raum zusammensitzen. Ein Teil der Entwickler ist extern, der andere intern, wodurch sie zu verschiedenen Sicherheitsstufen gehören. Die Externen müssen sogar in ein anderes Gebäude umziehen und sich jedes einzelne Meeting im Hauptgebäude gesondert genehmigen lassen.

Diese drei Geschichten (und noch viele weitere mehr) haben sich genau so zugetragen. Sie gehen jeweils zurück auf einen Menschenschlag, für den sich der schöne Begriff des "Konzern-Trolls" eingebürgert hat. Konzern-Trolle sind Personen ausserhalb der eigentlichen Produkt-Entwicklung, die die Verantwortung für irgendeinen Prozess oder die Einhaltung irgendeiner Vorschrift haben. Über diese wird eifrig und eifersüchtig gewacht, und zwar auch dann, wenn anderen Mitarbeitern die Arbeit dadurch erschwert oder unmöglich gemacht wird. "Da kann man nicht machen" heisst es dann immer, "ich habe die Vorschrift nicht gemacht, ich sorge nur für ihre Einhaltung."

Von den normalen Prozessmanagern unterscheiden sich Konzerntrolle übrigens deutlich, und zwar durch ihre explizit destruktive Grundeinstellung. Fast alle Vorschriften auf die sie sich berufen ließen sich nämlich auch deutlich weniger rigoros auslegen, in einer Weise in der sie nicht mehr ein absolutes Hindernis für agiles und/oder produktives Arbeiten wären. Warum diese Menschen so destruktiv geworden sind wäre nochmal ein Thema für sich, aber selbst wenn man es wissen sollte wäre das nur bedingt hilfreich. Sie sind wie sie sind, was macht man jetzt mit ihnen?

Was ich in diesem Zusammenhang häufig als Lösungsansatz erlebt habe, ist die Holzhammer-Methode: das Problem wird zum Vorgesetzten des Trolls eskaliert, der diesen zu sich ins Büro zitiert, um ihm dort einen ordentlichen Anschiss zu verpassen. Kurzfristig ist das eine sehr effektive Lösung, da der Widerstand des Trolls auf diese Art sofort gebrochen werden kann. Nachhaltig ist es allerdings nicht, da er sich bei der nächsten Gelegenheit sofort wieder querstellen wird.

Zielführender finde ich den Ansatz, die Schmerzen dorthin zu verlagern, wo sie entstehen: sobald ein Konzern-Troll mit seiner Paragraphenreiterei beginnt, kann man ihm selbst einen Arbeitsauftrag geben. Er muss dann einen Weg erarbeiten und vorschlagen, der einerseits die Einhaltung seiner Vorschrift ermöglicht, auf der anderen Seite die Arbeitsprozesse der anderen nicht verlangsamen oder ineffektiv machen darf. Und so lange der nicht von allen Beteiligten akzeptiert ist, muss er wieder und wieder überarbeitet und neu vorgelegt werden. Mein Erfahrungswert: jeder Troll, der das einmal mitgemacht hat, wird sich in Zukunft deutlich zurückhalten.

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