Dienstag, 23. Dezember 2025

Überwintern

Bild: Pixabay / Fabio Piccini - Lizenz

Es gibt Phasen, in denen machen agile Transitionen eine Pause. Ein neues Management kommt, will durchregieren und alles kontrollieren, langfristige Detailplanungen machen, die Arbeit in Gewerke oder Wasserfall-Stufen aufteilen, Herrschaftswissen aufbauen und dergleichen mehr. Das ist unschön, zumindest in grossen Organisationen aber temporär - der nächste Management-Umschwung kommt so sicher wie der nächste Frühling. Irgendwann gibt es dann wieder Transparenz und Selbstorganisation.


Die typische Reaktion von Konzernmitarbeitern mit Neigung zu solchen Arbeitsweisen ist es, in einen "Überwinterungszustand" zu gehen. Man zieht sich von der Vorderbühne der Organisation zurück, sucht sich einen geschützten Raum (Projekte, Abteilungen, etc), in dem der Veränderungsdruck erträglich erscheint, und bildet dort mit anderen gleichgesinnten eine Schläferzelle, die wieder aktiviert werden kann, wenn der Management-Wind sich erneut dreht.


Derartige Überwinterungen werden häufig vom Management eher kritisch gesehen, da hier ein Unterlaufen der aktuellen Unternehmensführung gesehen wird. Man kann aber auch eine positive Sicht darauf haben - wer in die Überwinterung geht, macht die Bühne frei für andere, die vom aktuellen Vorgehensmodell überzeugter sind, gibt ihnen die Chance sich zu beweisen, bewahrt aber die eigene Expertise, für den Fall, dass sie doch gebraucht wird.


Die spannende Frage, die sich daraus ergibt, ist aber, wie der Expertisen-Erhalt in einer Überwinterungs-Phase stattfinden kann? Der offizielle Arbeitsmodus ist schliesslich ein anderer, so dass Learning by Doing (oder Sustaining by Doing) nicht mehr so einfach möglich sind wie vorher. Und auch das Budget für Weiterbildungen und Schulungen wird jetzt für andere Zwecke eingesetzt. Hier sind einige praxiserprobte Ideen wie das gelingen kann.


Agile Ausgestaltung anderer Termine und Prozesse

Auch in einem formal nicht-agilen Arbeits-Setting spricht nichts dagegen, den Tag mit einer Morgenrunde zu beginnen, in dem jeder ein Update dazu gibt woran er gerade arbeitet, wie er vorankommt oder wo er Hilfe brauchen könnte. In Status-Meetings kann man Feedback integrieren, in Abteilungs- oder Projektmeetings Verbesserungsideen, etc., etc.


Arbeit an technischer Exzellenz

Ein spannender Fall von notwendiger und hinreichender Bedingung: man kann ohne technische Exzellenz nicht agil arbeiten, aber ohne agil zu arbeiten technische Exzellenz vorantreiben. Von Clean Code über hohe Testabdeckung bis hin zu klarer Architektur - das alles hilft in jedem Arbeitsmodus, und es kann später wieder eine gute Ausgangsbasis für iterativ-incrementelles Arbeiten sein.


Lösungsorientiertes Vorschlagswesen

Selbst wenn man in einem hierarchisch organisierten Umfeld vieles nicht selbst entscheiden kann - Vorschläge machen kann man immer. Und wenn die zum Gegenstand haben, dass sich irgendetwas mit vertretbarem Umwand so umstellen lässt, dass es schneller, billiger oder in besserer Qualität fertig wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man Gehör findet.


Nutzung leichtgewichtiger Tools

Es müssen nicht immer Jira und Miro sein, in fast jeder Firma finden sich mittlerweile Tools, die kollaboratives Arbeiten ermöglichen. Um ein einfaches Beispiel zu nennen: geteilte Präsentationen in Google Docs oder Microsoft 365 können mittlerweile in Meetings ähnlich genutzt werden wie Miro oder Conceptboard (siehe hier). Man muss nur bereit sein, etwas herumzuprobieren.


Feedback auf dem kurzen Dienstweg

Nur weil es keine Sprint Reviews gibt heisst das nicht, dass man mit Kollegen und internen Anwendern nicht sprechen kann. Vom schnellen Abstimmungscall über gemeinsames Kaffeetrinken bis hin zum Sitzen an benachbarten Arbeitsplätzen (wenn es im Büro flexible Platzwahl gibt) ist vieles möglich, um einfache und schnelle Kommunikation möglich zu machen.


Über den Tellerrand blicken

Auch über die unmittelbare eigene Arbeitsumgebung hinaus gibt es Möglichkeiten, die eigene "agile Expertise" zu erhalten und auszubauen. Geld für Konferenzen und Schulungen mag keines da sein, aber in fast jeder grösseren Stadt gibt es einen Scrumtisch, einen Lean Coffee oder ähnliche Meetups auf denen man sich austauschen und dazulernen kann.


Wie immer bei derartigen Listen ist es auch bei dieser so, dass sie noch lange weitergehen könnte, die Grundidee ist aber klar: auch in einem offiziell nicht-agilen Arbeitsumfeld lässt sich viel machen, um auch während einer Überwinterungsphase noch agil arbeiten und lernen zu können. Gegebenenfalls nicht mit den sonst üblichen Begriffen, Tools und Methoden, aber orientiert an den darunterliegenden Ideen und Prinzipien. Und das ist schliesslich das eigentlich Wichtige.


Und ganz nebenbei: auch wenn es länger dauern sollte bis auch offiziell wieder agil gearbeitet werden kann - die Dinge die weiter oben stehen machen auch jeden anderen Arbeitsmodus effektiver. Ein weiterer Grund dafür, sie zu tun.

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