Freitag, 12. Dezember 2025

Wie der Staat wieder handlungsfähig wird (IV)

Manchmal finden die spannenden Sachen direkt vor der eigenen Haustür statt, wie in dieser Woche die Fachkonferenz Public Sektor und Beratung in Bonn. Vertreter verschiedener grosser und kleiner Beratungsfirmen (u.a. meiner) könnten hier mit Experten aus dem Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung, dem Landesrechnungshof, dem Bundesverwaltungsamt und anderen Behörden diskutieren, wie die öffentlich Verwaltung effektiver arbeiten und beraten werden kann


Ein Thema, das sich dabei durch fast alle Vorträge und Diskussionen zog, war dabei das staatliche Einkaufswesen, bzw. dessen Unzulänglichkeiten. Mehrere Sprecher gingen sogar soweit, die hier nötigen Reformen zum entscheidenden Erfolgsfaktor der Verwaltungsmodernisierung zu erklären. Da er einen derartig prominenten Status zu haben scheint, lohnt sich ein näherer Blick auf die Konferenz-Erkenntnisse - was liegt denn laut Expertenmeinung im Argen im staatlichen Einkauf?


Beauftragende Stellen und Einkaufsabteilungen sind oft schlecht abgestimmt

Einer der schlimmsten Punkte direkt zu Beginn: der Einkauf und die Menschen für die etwas eingekauft wird reden in vielen Fällen zu wenig miteinander. Wenn z.B. eine kleine Behörde einen IT-Administrator braucht, fragen viele Einkäufer nicht nach für welche Systeme oder mit welchen benötigten Fähigkeiten, sondern googlen nur danach, was man dafür können müsste, und übernehmen das dann unverändert.


Viele Ausschreibungen sind inhaltlich irreführend oder sogar falsch

Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass viele eingekaufte Leistungen komplett am Bedarf vorbeigehen. Ein Beispiel das auf der Konferenz genannt wurde war eine Behörde, die auf der Suche nach jemandem war, der in der Poststelle physische Werbesendungen aussortieren sollte. Beauftragt wurde jemand, der Spezialist für Spamfilter in Email-Programmen war.


Zusammengehörende Gewerke werden separat ausgeschrieben

Dieser Missstand hat einen erkennbaren Taylorismus-Ursprung. Statt zusammengehörende Leistungen gemeinsam zu beauftragen, werden sie oft künstlich getrennt und separat vergeben. Ein Beispiel war ein IT-System das von einem Dienstleister kontinuierlich weiterentwickelt wurde, während ein zweiter die Nutzer darin schulen sollte - ohne zu wissen, was daran zuletzt geändert worden war.


Die Ausschreibungen sind oft unnötig detailliert

Hier kann man zumindest den Wunsch unterstellen, genau das Richtige einzukaufen. In der Realität kommt es aber immer wieder zu einem absurden Detailgrad, etwa dann, wenn ein Dienstleister nicht nur für alle Mitglieder seines Teams die Schul- und Hochschulzeugnisse angeben soll, sondern auch an welchen Kalendertagen diese Zeugnisse jeweils ausgestellt wurden.


In vielen Ausschreibung stehen unrealistische Anforderungen

In diesen Fällen zeigt sich, wie viele Detailkenntnisse die jeweiligen Einkäufer haben. Immer wieder genannte Klassiker sind die Anforderungen nach fünf- oder zehnjähriger Erfahrung mit Technologien, die es noch gar nicht so lange gibt (z.B. modernen LLM-Anwendungen). Die Zahl der Fälle, in denen wegen derartiger unerfüllbarer Anforderungen kein einziges Angebot eingeht, ist anscheinend beträchtlich.


Selbst kleine Formfehler können zum Ausschluss führen

Ein Beispiel, dass ich selbst erlebt habe: beim Nachfassen wegen eines abgegebenen Angebots wurde mir mitgeteilt, dass wir aussortiert worden waren, da der angebotene Berater keine PSM II-Zertifizierung hatte. Was in unseren Unterlagen stand - er hatte eine PSM 2-Zertifizierung. Inhaltlich das Selbe, aber da wir arabische statt römischer Zahlen benutzt hatten, waren wir draussen.


Die Vergabekriterien sind oft sehr unklar

Um mit dem Positiven zu beginnen: es wird oft versucht, den Entscheidungsprozess transparent zu machen, etwa indem angegeben wird, durch welchen Faktor wieviele Bewertungspunkte zu erreichen sind. Bei einer Angabe wie "Konzept: 20 Punkte" (ein reales Beispiel) bleibt aber völlig offen, anhand welcher Kriterien das einzureichende Konzept bewertet wird.


Zu häufig gibt nur der Preis den Ausschlag

In der Theorie ist zwar der Preis nur eines von mehreren Entscheidungskriterien, in der Realität vieler Beratungs-, Bau- und IT-Projekte wird aber sehr häufig das billigste Angebot angenommen, das gaben die Behördenvertreter auf der Konferenz zu. Da niedrige Preise aber vor allem durch Niedriglohn-Personal und billiges Material möglich werden, bedeutet das meistens auch schlechte Qualität der Ergebnisse.


Ausschreibung ≠ Beauftragung

Für die an Ausschreibungen teilnehmenden Unternehmen einer der grössten Frustfaktoren: anders als man denken könnte, ist der Gewinn einer Ausschreibung oft nicht mit einer Beauftragung gleichzusetzen. Man gewinnt nur einen Rahmenvertrag, ob in dessen Rahmen wirklich die eigentliche Beauftragung stattfindet ist unklar. Viele Behörden schreiben "auf Vorrat" aus, nicht wegen akutem Bedarf.


Die Liste liesse sich noch ewig fortsetzen, auf der Konferenz wurden noch zahlreiche weitere Ärgernisse genannt, von ausufernden Dokumentationspflichten über in der Realität nur schlecht funktionierende juristische Konstruktionen wie das 3 Partner Modell/3PM bis zu dreisten Forderungen wie einer unbezahlten Einarbeitungszeit. Aber genug gejammert, wie ginge es besser?


Worüber sich fast alle Konferenzteilnehmer einig waren: zusätzliche Vorschriften, Richtlinien und Verbote für die staatlichen Einkaufsabteilungen wären keine Lösung, sondern würden nur zu noch mehr Bürokratie führen. An vielen Stellen wäre es vielmehr sinnvoll, der Regulierungsumfang zurückzufahren, da er ein wesentlicher Grund für das Ausufern der Einkaufsprozesse ist.


Ein zielführenderer Ansatz wäre eine bessere Qualifizierung und Begleitung der staatlichen Einkaufsabteilungen. Diese sind bisher in vielen Fällen von Umfang und Komplexität der Materie überfordert. Man denke z.B. an eine Kleinstadt, die durch die Übernahme einer aufgegebenen Kaserne ein Bauprojekt noch nie dagewesener Grösse stemmen muss. Woher soll dafür die Kompetenz kommen?


Für die Qualifizierung und Begleitung der Mitarbeiter in derartigen Behörden gibt es tatsächlich bereits mehrere staatliche Stellen, die als "Inhouse Consulting" der öffentlichen Verwaltung funktionieren, etwa das Beratungszentrum des Bundes oder das Auftragsberatungszentrum Bayern. Ein erster Schritt wäre es, diese relativ unbekannten Angebote bekannt zu machen.


Auch weitere Ideen gibt es, etwa den auf der Fachkonferenz Public Sektor und Beratung vorgestellten "Berater-Führerschein". Angedacht ist, dass diese Weiterbildung für jeden verpflichtend wird, der Beratungsaufträge ab einer bestimmten Höhe vergeben darf. Die Idee ist, durch ihn nicht nur Wissen über den Einkauf, sondern auch über die Steuerung und Effizienzmessung von Beratern zu vermitteln.


Die Gemeinsamkeit derartiger Ansätze: den auf diese Art qualifizierten Einkäufern wird danach grösserer Freiraum gelassen, in dem Vertrauen, dass ja auch sie selbst ein Interesse an einer möglichst reibungslosen und erfolgreichen Abwicklung ihrer Einkaufsprozesse haben. Und als Seiteneffekt wird der Beruf dadurch auch attraktiver.


Siehe auch: 

Steve Blank: The Department of War Just Shot the Accountants and Opted for Speed

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