Donnerstag, 19. März 2020

Warum Meetings von verteilten Teams länger dauern

Bild: Pexels / Andrea Piacquadio - Lizenz
Für Teams die aus einem gemeinsamen Büro ins Home- oder Remote-Office wechseln ist es eine genauso überraschende Erfahrung wie für Scrum Master die zum ersten mal ein verteiltes Team übernehmen - die Meetings (und vor allem die Dailies) dauern einfach länger. Und der Versuch das durch konsequentere Moderation zu lösen endet meistens in Widerständen und Frustration. Der erste Reflex: alle Meetings verlängern. Der (hoffentlich) zweite Reflex: herausfinden warum das so ist.

Um dieses Verständnis zu bekommen bietet es sich an das Ganze von der anderen Seite aus zu betrachten - warum sprengen zusammensitzende Teams1 deutlich seltener die Timebox ihrer Meetings? Die vereinfachte Antwort: weil ihre Kommunikation grösstenteils ausserhalb dieser Termine stattfindet, so dass in ihnen ein ganz anderer Focus möglich ist. Und auch die Art dieses Informationsaustausches ausserhalb der Meetings kann man differenzieren, in beiläufige Kommunikation und implizite Kommunikation.

Das einfacher zu verstehende der beiden Konzepte ist die beiläufige Kommunikation. Darunter fällt jeder Austausch zu beruflichen Themen der ohne formellen Anlass stattfindet, meistens dann wenn die Beteiligten sich mehr oder weniger zufällig begegnen. In der Mittagspause, an der Kaffeemaschine, auf dem Weg vom Parkhaus zum Büro, etc. Gegebenenfalls kann sie auch spontan im Büro entstehen, z.B. mit der über den Tisch gerufenen Aufforderung "So, ich bin fertig. Willst Du es Dir ansehen?"

Implizite Kommunikation ist dagegen ein eher unsichtbarer und oft sogar unbeabsichtigter Austausch von Informationen. Dazu gehören Gestik und Mimik, durch die z.B. Begeisterung, Ablehnung oder Ratlosigkeit sehr effektiv übermittelt werden können, es gehören aber auch Informationsübermittlungen dazu für die man nicht einmal gleichzeitig in einem Raum anwesend sein muss. Der aus dem Besprechungszimmer herausschallende emotionale Ausbruch wäre ein Beispiel, oder die Spuren eines nicht zu Hause sondern spät im Büro eingenommenen Abendessens.

Diese beiden Kommunikationsformen fallen weg wenn die Teammitglieder nicht mehr zusammensitzen. Da die auf diese Art vermittelten Informationen (oder der sich aus ihrem Fehlen ergebende Klärungsbedarf) aber wichtig sind wird meistens versucht sie in dem einzigen gemeinsamen Forum auszutauschen das verblieben ist - den Meetings. Diese werden dadurch mit einer viel grösseren Anzahl von Themen überladen als vorher und dauern dementsprechend auch deutlich länger.

Sich über diese Mechanismen bewusst zu sein ist auch der erste Schritt auf dem Weg zur Lösung des Problems. Wenn sie den Beteiligten bewusst sind kann darauf aufbauend versucht werden sie zu kompensieren. Eine Möglichkeit ist z.B. eine gemeinsame "virtuelle Kaffeepause" am Nachmittag, also eine kurze Videokonferenz mit keinem anderen Zweck als einem schnellen Austausch ohne vorgegebene Agenda (z.B. als Lean Coffee), eine andere wäre eine digitale Instant Implementation Hour, in der kleinere Anliegen gebündelt werden können. Je nach Kontext gibt es aber noch viele weitere.

Mit ein bisschen Übung kann ein derartiges Vorgehen das Phänomen der ausufernden Remote-Meetings nicht nur abschwächen sondern sogar weitgehend kompensieren. An einer Stelle muss die Erwartungshaltung aber realistisch bleiben: so effektiv wie bei zusammensitzenden Teams wird die Kommunikation von Remote-Teams nie werden. Man kann aber versuchen dem so nahe zu kommen wie möglich.


1Die Rede ist hier von Teams die schon eine gewisse Erfahrung in agilem Arbeiten haben. Bei Teams in Umbruchphasen ist die Lage nochmal anders.

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