Dienstag, 10. Januar 2023

Story Points vs. Story Points

Grafik: Public Domain Pictures / Karen Arnold - CC0 1.0

Man könnte eigentlich denken, dass irgendwann alles zum Thema Story Points gesagt sein müsste. Vielleicht kommt dieser Tag auch bald, aber noch nicht heute. Heute soll es hier um einen Fakt gehen, der seit Jahren immer wieder für nachhaltige Verwirrung sorgt: es gibt nicht nur eine verbreitete Definition dessen was Story Points sein sollen sondern gleich zwei. Und diese beiden sind nicht deckungsgleich sondern widersprechen sich scheinbar sogar an einer entscheidenden Stelle.


Über die erste Definition habe ich bereits vor einiger Zeit etwas geschrieben, es ist die von Ron Jeffries. Er ist Mit-Begründer von Extreme Programming, dem agilen Framework in Story Points zum ersten mal benutzt wurden, und selbst wenn es nach der langen Zeit (irgendwann Ende der 90er) nicht mehr ganz genau nachvollziehbar ist geht er davon aus, dass er es war der sie erfunden hat (mittlerweile bedauert er das übrigens, aber das ist eine andere Geschichte).


Für ihn sind Story Points ganz klar eine Messung von Aufwand. Ursprünglich hervorgegangen aus den missverständlich benannten "ideal Developer Days" war die initiale Beschreibung "how long it would take a pair to do it if the bastards would just leave you alone", also die Zeit die man brauchen würde wenn man nicht gestört würde. Später wurde daraus die abstrakte Schätzgrösse, die für verschiedene Teams oder Personen je nach Kontext in unterschiedliche Aufwände übersetzt werden kann.


Die zweite Definition kommt von Mike Cohn, einem der ersten Scrum Master, und stammt aus seinem damals (2005) bahnbrechenden Buch Agile Estimating and Planning, in dem er die seinerzeit (und heute) gängigsten Praktiken zum agilen Schätzen und Planen zusammenfasste. Für viele agile Praktiker ist es die Quelle aus der sie Story Points kennen (oder mittlerweile haben viele die Definition von Menschen gelernt die sie ursprünglich aus diesem Buch haben).


In ihm beschreibt Cohn Story Points als eine Mischung aus Aufwand, Risiko und Komplexität. Zwar hat er später in seinem Blog darauf hingewiesen, dass auch in seiner Sicht der Dinge der Aufwand die entscheidende Dimension ist, da die anderen beiden lediglich die Ursachen für eine weitere Vergrösserung des notwendigen Aufwands sind, mit seiner ursprünglichen Definition hat er aber zu einer Unklarheit beigetragen, die seitdem zahllose Teams geplagt hat.


In einem Versuch der (scheinbaren) Anleitung des (scheinbaren) scheinbaren Erfinders zu folgen definieren derartige Teams bis heute Story Points als eine Messgrösse der drei im Buch genannten Dimensionen, in vielen Fällen sogar mit der erst recht irreführenden Verkürzung, dass es sich nur noch um die Messgrösse für Komplexität handelt - einen Begriff der ohne die Verknüpfung zum Aufwand nur noch schwer zu erklären und gar nicht mehr quantifizierbar ist.


Oft bringt das die Mitglieder agiler Teams in eine Erklärungsnot, die ohne Notwendigkeit ihr Standing nach aussen untergräbt, ebenfalls kann es vorkommen, dass sie dieser zu entkommen versuchen indem sie die Komplexität aus der Ermittlung der Story Points herausnehmen und durch irgendetwas anderes ersetzen, was aber nur zu einer neuen Variante einer schlecht zu erklärenden Schätzgrösse führt (hier ein Beispiel: Kompliziertheit und Bauchgefühl sind ebenso schlecht quantifizierbar wie Komplexität).


Der beste Weg mit derartigen Situationen umzugehen ist der, den betroffenen Teams die oben verlinkten Blog-Artikel von Jeffries und Cohn zuzuschicken (ggf. mit einer Erklärung wer die beiden sind). Die sich daraus ergebende Erkenntnis, dass Story Points eben doch Aufwand sind wird es zwar nötig machen von einem bisher vertretenen Standpunkt abzurücken, aufgrund des hohen Werts den Inspect & Adapt und Fehlerkultur im agilen Vorgehen haben dürfte das den allermeisten aber gelingen.

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