Donnerstag, 3. Januar 2019

Investitionsstaus

Bild: Wikimedia Commons / Caliva - CC BY-SA 4.0
Es war eine der letzten Meldungen des Jahres: im Jahr 2018 wurden Investitionsmittel von insgesamt 25 Milliarden Euro nicht abgerufen. Wohlgemerkt, es handelte sich dabei um bereits freigegebene Summen, es gab nichts mehr zu beantragen und genehmigen, man hätte direkt mit dem Ausgeben anfangen können. Dass das nicht geschehen ist ist keine Besonderheit der staatlichen Verwaltung, auch in vielen grossen Firmen gibt es dieses Phänomen - und es hat Gründe.

Am Anfang steht wie so oft das Dilemma, dass die Zukunft nicht vorhersehbar ist und die Realität sich anders entwickelt als geplant. Im besten Fall führt das dazu, dass Vorhaben schneller (und damit billiger) umgesetzt werden können als vorgesehen. Das gibt es, es ist aber selten. Häufiger ist das absolute Gegenteil: weil die Planung an der Realität vorbeiging muss neu geplant werden, die Umsetzung beginnt dann deutlich später oder muss sogar ins nächste Jahr verschoben werden.1

Beide Fälle führen dazu, dass in den jeweiligen Organisationen Stillstand einkehrt. Denn um neue Vorhaben zu beginnen müssten diese eine genehmigte Finanzierung für das laufende Jahr haben, was aber bei grösseren Summen einen monatelangen bürokratischen Prozess erfordern kann. Bis dieser abgeschlossen ist kann mit der Arbeit nicht begonnen werden, und wenn er bis Jahresende nicht beendet wurde bleibt das Geld ungenutzt. Stattdessen das bereits freigegebene Budget derjenigen Vorhaben zu nehmen die nicht starten konnten geht auch nicht - derartige Mittel sind in der Regel zweckgebunden.

Letztendlich können derartige Zustände mehrfach schädlich sein. Zum Einen sorgen sie dafür, dass sich Arbeiten unnötig verzögern (→ Cost of Delay), des Weiteren wurden ggf. bereits Lizenzen oder Geräte gekauft, können aber nicht benutzt werden, wodurch sie zwar Geld kosten aber keines erwirtschaften (→ Totes Kapital), schlimmstenfalls führt der Versuch das vorhandene Geld irgendwie doch einzusetzen zu unnötigen Erweiterungen bereits fertiger Ergebnisse, wodurch diese unübersichtlicher, instabiler und wartungsintensiver werden (→ Bloatware/Feature Creep).

Alles das ist für alle Beteiligten relativ klar zu erkennen sobald es einmal eingetreten ist, es wird also versucht Gegenmassnahmen zu ergreifen. Der in vielen Fällen eingeschlagene Lösungsweg macht aber alles nur noch schlimmer: er besteht daraus, strukturell mehr Vorhaben zu beantragen und genehmigen zu lassen als durchgeführt werden können. Stellt sich jetzt eines als nicht durchführbar heraus kann man einfach das nächste beginnen, man ist also in jedem Fall ausgelastet. Problem gelöst?

Auch hier tritt wieder das Problem der nicht vorhersehbaren Zukunft auf: wenn wider Erwarten alle Vorhaben wie geplant begonnen und durchgeführt werden können, dann ist es nicht mehr möglich diejenigen umzusetzen die "auf Vorrat" beantragt worden sind. Für sie wird also eine fehlende Machbarkeit gemeldet, wodurch ihr Budget wieder zur allgemeinen Verfügung steht. Abgerufen werden kann es wegen der genannten bürokratischer Prozesse dann nicht mehr rechtzeitig. Siehe oben.

Das Bemerkenswerte ist, dass es auch andere Lösungen gäbe, durch die Inverstitionsstaus vermieden werden könnten: man könnte Genehmigungsprozesse beschleunigen, die Zweckbindung von Finanzierungen aufheben oder die Organisation vom Push- auf das Pull-Prinzip umstellen. Jede dieser Optionen würde aber tiefgreifende Änderungen der Organisations- und Genehmigungsstrukturen erfordern, wovor dann doch zurückgeschreckt wird. Und dann bleibt es dabei, dass immer wieder Geld nicht abgerufen wird.

Nachtrag:
Um auf Feedback zu reagieren: ja, in diesem Beitrag geht es hautptsächlich darum was falsch läuft und nur wenig darum wie es besser gehen würde. Das hat seinen Grund darin, dass das besser Machen aus einer Umstellung, bzw. einem Rückbau bestehender Organisationsformen bestehen muss. Da die aber von Fall zu Fall unterschiedlich sind ist es kaum möglich eine generelle Handlungsempfehlung abzugeben. Wie so oft: es kommt darauf an.

Nachtrag II:
Passend zum Thema geht es in einer der ersten Meldungen des Jahres weiter: Investitionsstau in Städten und Kommunen erreicht Rekordniveau.


1Natürlich gibt es auch die Fälle in denen die Umsetzung zum geplanten Zeitpunkt beginnt und endet oder in denen sie
zum geplanten Zeitpunkt beginnt und verspätet endet, aber die sind in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung

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