Dienstag, 3. November 2020

Das Problem mit SAFe (I)

Bild: Piqsels - Lizenz
Irgendwann habe ich zum Scaled Agile Framework (SAFe) eine schöne Analogie gehört. Demnach ist die Namensgleichheit zum Safe (einem Tresorschrank) kein Zufall. Der Tresorschrank-Safe ist das ultimative Mittel um etwas zu beschützen was zu wertvoll oder zu gefährlich ist um öffentlich zugänglich zu sein (Goldbarren, Pistolen, etc.). Und analog dazu wird das Organisations-SAFe oft genutzt um etwas zu beschützen was für Firmen gleichzeitig wertvoll und gefährlich ist: Agilität. Ein paar Gedanken dazu.

Darüber warum Agilität für Unternehmen wertvoll ist muss nicht viel gesagt werden. Schnell auf sich ändernde Kundenwünsche und Marktbedingungen reagieren zu können ist etwas was jede Firma als Ziel hat. Spätestens seit die IT-Konzerne von der amerikanischen Westküste bewiesen haben, dass man kein kleines Startup sein muss um das zu können findet sich das "agil werden" explizit oder implizit in praktisch jeder Unternehmensstrategie wieder.

Gleichzeitig existiert in einem Grossteil aller Firmen die Sorge, dass diese wertvolle Agilität ständig von innen heraus bedroht wird. Berechtigt oder nicht - vor allem grosse und alte Unternehmen verdächtigen ihre Angestellten, dass diese "keine Veränderungen mögen" und "in Ruhe gelassen werden wollen". SAFe bietet da den auf den ersten Blick einfachen Ausweg, die Umsetzung von Agilität so klar und umfassend zu beschreiben, dass man (scheinbar) nicht daran vorbeikommt.

In einer paradoxen Gleichzeitigkeit steht neben der Sorge, dass die Angestellten in Ruhe gelassen werden wollen, eine zweite, nämlich die, dass diese auch den starken Drang haben sich chaotisch und verantwortungslos zu verhalten. Ist man einmal in dieser Weltsicht unterwegs liegt es nahe Agilität als Risiko zu sehen, schliesslich "kann da jeder machen was er will". Auch hier bietet SAFe einen scheinbar einfachen Ausweg in Form der "für Struktur sorgenden" zahlreichen Regeln und Rollen.

Dem Scaled Agile Framework fällt in einer solchen Weltsicht die Rolle zu, alle Prozesse in der "goldenen Mitte" zu fixieren. Auf der einen Seite soll es verhindern, dass die Mitarbeiter es zu ruhig angehen lassen, auf der anderen Seite aber auch dafür sorgen, dass sie nicht über die Stränge schlagen. An dieser Stelle wird auch klar warum in solchen Fällen keines der anderen agilen Frameworks herangezogen wird: mit keinem von ihnen könnte man versuchen diese Grenzen zu setzen, dafür sind sie zu minimalistisch und zu offen.

Ebenfalls offensichtlich dürfte aber auch sein warum dieser Ansatz kaum Erfolgsaussichten hat: zum einen ist die goldene Mitte in komplexen Umgebungen kein stabiler Punkt sondern unterliegt permanenten Schwankungen, was ein permanentes Nachjustieren erfordern würde. Zum anderen werden sich Angestellte die in ein solches System gesteckt werden schnell bevormundet fühlen und in Widerstand oder Dienst nach Vorschrift getrieben, wodurch Agilität in egal welcher Form praktisch unmöglich wird.

Um es zusammenzufassen: in Unternehmen die ihren Mitarbeitern misstrauen wird SAFe in der Regel eingeführt um Agilität in eine von oben vorgegebene Bahn zu lenken. Da Agilität aber auf stark Eigeninitiative und freiwilliger Beteiligung beruht kann das nicht funktionieren. Und um es klar zu sagen - das ist keine Aussage gegen SAFe, wohl aber eine gegen den Grossteil der SAFe-Umsetzungen.

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